Stehen wir etwa vor dem Ende des Kapitalismus?

„Jetzt ist der Kapitalismus endlich am Ende“, sagte mir neulich ein Freund. Ich fragte erstaunt, warum er zu diesem Schluss käme.

„Wir wissen doch schon lange, und du weißt es doch genauso gut wie ich, dass es so nicht weitergehen kann. Wir leben in einer Welt, die mit vollen Händen ihre Reichtümer verschleudert und ihre eigenen Lebensbedingungen versaut. Es muss sich schon lange etwas ändern. Darauf hoffen wir doch alle! Und offenbar ist jetzt der Moment gekommen, wo auch die Wirtschaft einsieht, dass sich etwas grundlegend ändern muss und unterstützt dieses Verlangen vieler Menschen nach einer neuen, lebenswerten und menschenwürdigen Welt. Ich habe den Eindruck, dass auch bei ihnen angekommen ist, dass das „Höher, Schneller, Weiter“, mit dem sie uns Jahrzehnte lang durch unser Leben gehetzt haben, so nicht mehr weiter geht. Es ist doch erstaunlich, dass sich seit einiger Zeit Wirtschaftsunternehmen, große Konzerne, wichtige Persönlichkeiten aus der Wirtschaft für Umweltschutz einsetzen und für erneuerbare Ressourcen plädieren.“

Ich sah meinen Freund an und konnte in dem Moment nichts anders sagen als: „Glaubst du das wirklich?“

Er war verschnupft. „Was heißt hier glauben“, murrte er. „Das sind doch Fakten. Es gibt sogar Milliardäre, die freiwillig höhere Steuerabgaben für sich verlangen, um mit ihrem Geld der Welt zu helfen. Und wie viele Konzerne haben sich inzwischen Klimaziele gesetzt und sich der Verfolgung jeder Diskriminierung verschrieben. Sowas hat die doch früher gar nicht interessiert.“

„Das entspricht den Tatsachen“, stimmte ich ihm zu. „Ich frage mich nur, warum sie das tun. Meinst du, der Kapitalismus ist plötzlich humanistisch geworden?“

„Ich denke, der Kapitalismus ist vorbei. Die Gefahren für die Menschheit sind zu groß und die führenden Wirtschaftskreise sind endlich zur Vernunft gekommen. Auch sie können es ja nicht wollen, dass unsere Welt vor die Hunde geht.“

Der Traum von einer neuen, besseren Welt nach Corona

Ich kenne solche Gedanken und Argumente schon lange. In der Coronakrise sind sie mir zum Beispiel häufig in meinem Berufsfeld, der Sozialen Arbeit begegnet. Viele meinten damals, dass die Coronalage die vorhandenen gesellschaftlichen Probleme überdeutlich hätten werden lassen und dass die Menschen daraus lernen würden. Sie erwarteten ernsthaft, dass nach Corona eine andere, bessere Zeit anbrechen könnte. Ich habe das immer für Unsinn gehalten. Denn selbst wenn irgendwer zu Vernunft kommen sollte und sich zum Beispiel dafür einsetzen würde, dass wieder eine Jugendhilfe gemacht wird, die nicht nur Fälle von Kindeswohlgefährdung verfolgt und ahndet, sondern die sich zur Aufgabe setzt, für das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen zu sorgen, selbst dann wäre ja überhaupt nicht das Geld für solche Pläne da. Denn zum einen war Corona teuer und hat die wirtschaftliche Lage sehr verschlechtert. Zum anderen ist die Soziale Arbeit immer mit zuerst betroffen, wenn unser Staat meint, Geld sparen zu müssen.

Und wer sehen konnte, der hat schon während der Corona-Zeit erkennen können, dass der Neoliberalismus jetzt nicht etwa weggedrängt wurde. Er hat sich gerade in dieser Zeit in mancher Hinsicht vielmehr verstärkt und beschleunigt:

  • Die plötzliche „Notwendigkeit“, menschliche Kontakte nur noch mit Distanz zu vollziehen, hat der Digitalisierung einen gewaltigen Schub verpasst und einer unaufhaltsamen, unkontrollierten und unkontrollierbaren Überwachung Vorschub geleistet,
  • Durch die Corona-Maßnahmen hat sich zudem der Bruch in der Gesellschaft zwischen den Reichen und dem Rest weiter verschärft und auch auf die mittleren Schichten übergegriffen…
  • Die Superreichen in dieser Welt sind noch reicher geworden. Die Gewinne, die die Pharmakonzerne und andere Industriezweige in und durch die Corona-Maßnahmen machen konnten sind riesig.

Nein, man kann wirklich nicht davon reden, dass sich der Neoliberalismus seit oder gar durch Corona zurückgezogen hätte.

Wir treten nur in eine neue Phase des Kapitalismus und Neoliberalismus ein
Die Macht der herrschenden Kapitaleigner, die Vermarktlichung von allem, sowie das Streben und Durchsetzen von Profit bleiben nicht nur unangetastet, sie sind aktiver denn je, verstecken sich aber jetzt hinter den angeblich im Interesse der Menschheit vorherrschenden Themen Klimawandel, Kampf gegen vermeintliche Rechte, Verfolgung und Ächtung Andersdenkender, die den demokratischen Staat angeblich bedrohen, Gendern, Verteidigung der sogenannten westlichen Werte, etc.

Nur ein Beispiel: Seit Corona wird viel über die Krise unseres Gesundheitssystems diskutiert, Reförmchen werden auf den Weg gebracht… aber die eigentlichen Ursachen für unser marodes Gesundheitssystem, nämlich die Privatisierung,  die Abschaffung der gesellschaftlichen Vereinbarung, dass das Gesundheitswesen (wie alle gesellschaftlichen Bereiche, die sich um das Wohl von Menschen kümmern) ein Non-Profit-Bereich zu sein hat, der weder Profite abwerfen noch wie ein Industriebetrieb betriebswirtschaftlich geführt werden kann –  daran rühren sie mit keinem Gedanken. Die Reichen werden immer reicher, die Schere geht immer weiter auseinander, wir stürzen von einer Finanzkrise in die nächste und unsere Regierung stützt die maroden Banken mit unseren Steuergeldern…. Nein es hat sich an den kapitalistischen Grundlagen unseres Gesellschaftssystems nichts geändert.

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