Doris Lessing: Das Leben meiner Mutter

Als die erstaunliche Tatsache bekannt wurde, dass Doris Lessing den Literaturnobelpreis erhalten hat, habe ich meinen Bestand ihrer Werke in unserer Gartenhäuschen-Bibliothek gesichtet und dann bei Amazon so allerhand nachgekauft, was ich noch nicht hatte und auch noch nicht kannte.

Unter anderem „Das Leben meiner Mutter“ („impertinent daughters“, 1985)

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Nun ist sie wahrhaftig nicht die erste und einzige, die sich dieses Thema gewählt hat. In bester Erinnerung ist mir – um nur ein Beispiel zu nennen – das gleichnamige Buch von Oskar Maria Graf. Aber hier schrieb ein Sohn, der seine Mutter geliebt hat.
Mit Doris Lessing, das war mir klar, da ich ihre Autobiografie „Unter der Haut“ gelesen habe, schrieb eine Tochter, die in ihrer Kindheit und Jugend und auch noch weit ins Erwachsenenalter hinein ihre Mutter gehasst, sich von ihrer emotionalen Erpressung ausgesaugt und von ihrer aufdringlichen und gängelnden Fürsorge bedroht gefühlt hat. Und dieser Blickwinkel ist mir schon viel vertrauter. Ich habe  es erst mit 52 Jahren geschafft, etwas zu schreiben, mit dem ich  dem Leben meiner Mutter
nicht nur mit Angriffen und Vorwürfen sondern auch mit Verstehen und Nachsicht begegnet bin.

So klar und radikal wie es Doris Lessing hier geschafft hat, ist es mir sicherlich nicht gelungen. Die versucht nicht nur ihre Mutter als Mensch zu begreifen, sie versetzt sich auch in ihre Mutter hinein und versucht zu verstehen, wie sie als Kind, als junges Mädchen, als junge Frau auf ihre Mutter gewirkt hat, wie sie sie verletzt haben wird.

Der Klappentext bringt es gut auf den Punkt: „Sie beschreibt, ratlos noch heute, wie unerträglich ihre Mutter war und wie unerträglich sie, die Tochter.“

Doris Lessing hat dieses Buch 1985 geschrieben, also etwa mit 66 Jahren. Das Büchlein ist sehr dünn. Man merkt es und sie gibt es freiwillig zu, wie schwer es ihr auch damals noch fiel, über ihre Mutter nachzudenken, über sie zu reden. Sie zwingt sich dazu wie zu einer Pflicht, der Pflicht, dieser Frau endlich gerecht zu werden.

Und mit dem Abstand ihrer 66 Jahre hat sie begriffen, dass wir letztlich das gleiche tun, wie unsere Eltern, die gleichen Träume träumen, die gleichen Fehler machen, dieselben Hoffnungen begraben und wenn wir Glück haben, jemanden finden, der uns ein bisschen liebt…. Aber das sind nicht immer unsere Kinder.

„Anscheinend habe ich ein Leben dazu gebraucht, meine Eltern zu verstehen, von einer Verwunderung in die andere stolpernd. Es gibt einen Geheimnisvollen Vorgang, der erschreckend ist, da sich daran überhaupt nichts ändern lässt: er führt dich aus grimmiger Jugendzeit – als stünden sich die Eltern und du schwer bewaffnet auf einem Schlachtfeld gegenüber – dorthin, wo du im Geist jederzeit den Platz einnehmen kannst, auf dem sie selbst einstmals standen“

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