Corona und wir

Gedanken zur Rolle der Linken in der Coronakrise

Publiziert am 27.1.2021 von Mrs. Tapir

alles für uns?
Alles wegen uns?

Es war schon vor Corona nicht ganz einfach, Menschen zu treffen, die wirklich eine Veränderung der Welt anstrebten. Ich denke nicht an Veränderungen im Bezug auf das, was uns der progressive Neoliberalismus an Fortschrittlichkeiten (das konsequente Gendern, die Multigesellschaft, Emanzipation, Frauen in Vorständen von Konzernen usw.) verspricht (vgl. hierzu z.B. Häring), sondern an ökonomische Veränderung und eine reale Veränderung der Machtverhältnisse. Jetzt, in Corona-Zeiten, ist es beinah unmöglich, einen Menschen anzutreffen, der sich als links denkend definiert, aber nicht gleichzeitig in die allgemeine, alternativlose Gläubigkeit einstimmt, was die Haltung der Regierung zu der Corona-Pandemie betrifft. Nein, nicht nur die Partei, die sich so nennt, auch wirklich sozialistisch und marxistisch denkenden Menschen treffe ich kaum bei denen an, die die bestehenden Corona-Maßnahmen kritisch betrachten. Im Gegenteil.
Sicher gibt es inzwischen einige Leute, die merken, dass bei den angeordneten Corona-Maßnahmen Schieflagen vorkommen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind, und uns infolge der Corona-Lockdowns eine schlimme Finanzkrise droht. Auch die Einsicht, dass manche Maßnahme wirkt, als hätte sie sich ein Schulkind ausgedacht, wird inzwischen von vielen Menschen geteilt. Allerdings bleiben sie trotzdem alle treu bei ihrer Solidarität mit den Verantwortlichen der Regierung und ihrer Institutionen und fühlen sich generell gut geschützt.
Mich erinnert das an Katholiken, die trotz des erlebten Missbrauchs des eigenen Kindes durch einen Internatspriester, der Kirche die Treue halten. Wie das? Ja warum eigentlich? Weil die eben von oben eingesetzt ist und unfehlbar – und unsere einzige Rettung in der schrecklichen Welt von Corona sozusagen?

Aber immerhin, ich freue mich auch über solche Leute, die wenigstens die Gefahren der Kollateralschäden sehen und sich eine besser durchdachte, und sozialwissenschaftlich durchgearbeitete Maßnahmenstruktur wünschen.
Dennoch, von linken Menschen würde ich mehr erwarten! Die Tatsache, dass fast alle Linken, auch die, die es ehrlich meinen, Corona einfach als Naturkatastrophe hinnehmen aber als politisches Thema ignorieren, diese Tatsache macht mich schwindelig in meinem alten linken Kopf.
Natürlich haben sie Recht, wenn sie feststellen, dass Corona und die Maßnahmen der Regierung in Bezug auf soziale Fragen nicht ausgleichend, sondern vielmehr massiv verstärkend wirken. Aber sich darauf zu beschränken, einen gerechten Ausgleich der Kollateralschäden anzustreben, das finde ich angepasst und bestenfalls sozialdemokratisch. Wäre es nicht für jemanden, der dem bürgerlichen, dem neoliberalen Staat bisher nicht so einfach über den Weg getraut hat, angemessen, auch hier, in Sachen Corona, der herrschenden Politik auf die Finger zu sehen?

Den beiden alten Damen oben im Cartoon fällt wohl inzwischen auch so einiges merkwürdige an den „Schutzmaßnahmen“ auf, die die alten Menschen wegsperren, statt sich präventiv um ihr seelisches und körperliches Wohl zu kümmern. Das soziale Leben und die Wirtschaft der kleineren Unternehmen werden lahmlegt und die Bedürfnisse der Menschen an Kultur Bildung, Erholung und psychische Gesundheit der Bürger abwürgt. Und so fragen sie sich beklommen, ob es bei diesen Maßnahmen wirklich nur um die alten Menschen geht. Vermutlich erinnern sie sich noch gut, dass sich vor Corona diese Gesellschaft nicht allzu sehr um die Alten gekümmert hat. Wieso jetzt?

Ich kann versuchen, die Folgen der Corona-Maßnahmen sozial abzufedern. Ich kann mich aber auch fragen, ob diese Folgen sein müssen. Und ich kann auch noch weiter fragen.

Der Protest gegen die derzeitigen Corona-Maßnahmen ist tatsächlich zunächst kein linker Kampf. Es führen ihn im wesentlichen Bürger der Mittelschicht an, die sich um ihre Rechte, um die Verfassung, um ihre Freiheit betrogen sehen. Der Anteil Rechter oder rechts denkender Leute ist dagegen vergleichsweise gering, wenn sie auch versuchen, sich in den Vordergrund zu drängen, bzw. wenn unsere Medien alles dafür tun, sie in den Vordergrund zu rücken.
Bei den bürgerlichen Kräften sind meines Wissens viele dabei, die die ungeheuerlichen Kollateralschäden nicht nur für sich, sondern vor allem auch für die Bevölkerung verhindern wollen, die es am stärksten trifft. Sie als egozentrisch zu bezeichnen, ist völlig daneben. Sie begnügen sich nicht damit, die Schäden gerechter verteilen zu wollen, sie fragen danach, ob diese Schäden gerechtfertigt sind.
Aber klar: Sie haben mehrheitlich ganz sicher keinen revolutionären, antikapitalistischen Gedanken dabei im Kopf. Wenn es um die Frage des politischen und ökonomischen Systems ginge, wären sie kaum mit mir auf einer Seite.

Aber wer die Corona-Maßnahmen mit all ihren Kollateralschäden, die kurz, mittel und unabsehbar langfristig auf uns warten, einfach schluckt und denen bedingungslos glaubt, die ihre Maßnahmen, ihre Wahrheiten und wissenschaftlichen Meinungen für alternativlos halten, aber gleichzeitig – und ich möchte fast sagen „trotzdem“ – an der politischen Corona-Problematik vorbei unbeirrt weiter linke Ziele zu verfolgen sucht, der setzt sich auf einen Ast, der über kurz oder lang unter und mit ihm herunterbrechen wird.
Bürgerliche Rechte, die Freiheit, sich in Menschenwürde zu entwickeln und verhalten zu dürfen, demokratische Handlungsmöglichkeiten, die Einfluss und Wirkung im gesellschaftlichen Geschehen haben, Solidarität aber auch Toleranz, das sind Voraussetzungen dafür, dass der Boden, damit eine linke Bewegung überhaupt entstehen und nachhaltig wirken kann.
Wer der massiven Entmündigung der Bevölkerung und dem Aussetzen ihrer politischen und sonstigen Rechte zuschaut, ohne nach der Berechtigung und der Angemessenheit der zugrundeliegenden Maßnahmen überhaupt nur zu fragen, der handelt nicht nur unkritisch, sondern auch Kapitalismus freundlich. Denn er lässt es zu, dass mit dem Stichwort „Corona“ die alte politische „Soziale Frage“ des kapitalistischen Systems, der Kampf der Beherrschten gegen die sie Beherrschenden, der Kampf gegen ein ökonomisches und politisches System, dass alles andere ist, als ein menschenfreundliches – einfach und endgültig unter den Tisch gekehrt wird.

Und ich frage mich, liebe linke Brüder und Schwestern – wo sehen wir uns am Ende schließlich wieder?

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Gedanken in Corona-Zeiten (1)

Einen Tag nach Silvester…
Als ich am Tag nach Silvester mit dem Hund durch unser Dorf ging, kam ich mit einem Mann ist Gespräch. „Also wirklich, ich bin so froh gewesen! Die Knallerei war dieses Jahr endlich erträglich. Man hatte seine Freude an der einen oder anderen farbenfrohen Rakete, 10 Minuten hat es geknallt – dann war Ruhe und das neue Jahr fing in Frieden an. So habe ich mir das schon seit Jahren gewünscht.“

Ich sah ihn an und wartete auf die Fortsetzung dieser Geschichte. Und sie kam:
„Traurig ist nur, dass sowas erst mit Corona geht. Wir müssen offensichtlich dazu gezwungen werden, vernünftig zu sein!“
Ich lächelte und bemerkte, dass ich mich auch über die besänftigte Silvesterknallerei gefreut hätte – nicht zuletzt auch mein Hund.
Was hätte ich erwidern sollen? Er hat ja recht. Viele Menschen erleben die Corona Zeit als Entspannung, Entschleunigung und als Wiedergewinnung alter Werte. Diese Menschen blicken nach vorne in der Hoffnung, dass nach Corona alles besser sein wird, ja, dass Corona dazu beitragen könnte, das alte ungeliebte „Höher, Schneller, Weiter“ des Neoliberalismus zu überwinden …..
Der Glaube, dass Corona Schluss mache mit dem Irrsinn des „Höher, Schneller, Weiter“, wird auch medial stark unterstützt. Die Medien sind voll von Jubelberichten über solidarische Aktionen, Nachbarschaftshilfe und ein neues, wiedererwachtes Gemeinschaftsgefühl. Die durch die Corona-Maßnahmen aktuell bestehenden Chancen auf Entschleunigung, auf die Möglichkeit, wieder zu sich selbst zu kommen, die Solidarität wiederzuentdecken, sich wieder alten, aber inzwischen durch den Stress verdrängten Tätigkeiten und Hobbys zuzuwenden usf.  werden jedoch gegen die massiven Kollateralschäden ausgespielt.
Die aber sind beträchtlich: Ein anderer Teil der Bevölkerung, der medial allerdings mehr in den Hintergrund gedrängt wird, sind diejenigen, die durch Corona tief gefallen sind, deren Existenz bedroht ist, deren Psyche belastet ist, deren Bildung in Gefahr ist, die soziale, kulturelle Verluste erleben, die sich einsam und verlassen fühlen und an der Rauheit der sogenannten Schutzmaßnahmen leiden – und zwar gegen Achtsamkeit und Menschenwürde. Und dies Menschen sind nicht wenige.
Neulich hörte ich den 17jährigen Sohn einer Freundin stöhnen: „Corona raubt mir meine Jugend.“ Er sitzt den ganzen Tag am PC und vermisst die wirklichen Treffen und Gespräche mit seinen Freunden. Das sei doch etwas völlig anders, etwas Lebendiges, wo man spürt, dass die anderen da sind.
Laut Untersuchungen sind etwa die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen zurzeit mit ihrem Leben unzufrieden. Vor Corona waren 96 % mit ihrem Leben zufrieden.

Dennoch. Corona hat auch Positives gebracht: Weniger Verkehrsunfälle, sauberere Luft, mehr Zeit für die Familie, Stop der umweltzerstörenden Tourismusströme usw. Und wie der Mann, der sich über das besänftige Silvestergeknalle gfreut hat, müssen feststellen, dass es scheinbar nötig ist, die Menschen mit Verordnungen und Strafandrohung zu zwingen, vom „Höher, Schneller, Weiter“ abzulassen, sie also zu ihrem Glück zu zwingen. Alleine kriegen sie es offenbar ja nicht hin.

Bedeutet progressiver Neoliberalismus Humanismus?

Mich erinnert das an die schon vor Corona erlebte Tendenz des progressiven Neoliberalismus und grünen Kapitalismus. Laut Nany Fraser stehen im seit etwa 30 Jahren existierenden progressiven Neoliberalismus „progressive Kräfte faktisch im Bündnis mit den Kräften des kognitiven Kapitals, insbesondere der Finanzialisierung. Erstere borgen dabei, ob unbewusst oder auch nicht, den Letzteren ihr Charisma… Somit verbindet der progressive Neoliberalismus verkürzte Emanzipationsideale mit gefährlichen Formen der Finanzialisierung.“
In der Zeit vor Corona konnten wir zum Beispiel erleben, wie sich die Mächtigen und ein Teil der Wirtschaftskräfte mit einem Mal auf die unbedingte Förderung des Umweltschutzes orientierten.  War Greta in Davos nicht genau das, was Nacy Fraser beschreibt? Im Sommer wird es in diesem Sinne in Davos weitergehen.
Ich aber bin verwundert und frage mich, warum sie das tun. Sind sie nicht mehr an ihrem Profit, sondern neuerdings am Glück der Menschheit interessiert? Oder wollen sie an dieser Entwicklung doch nur schlicht Geld verdienen? Tatsächlich gibt es doch weiterhin bei denen, die das große Geld haben, Interesse an Profit, an Warenabsatz, an endlosen Neuproduktionen, an ständigem Wachstum, an der immer weiter getriebenen Steigerung von Entwicklung und Leistung. Man denke an den Versuch von Politik und Industrie,mit aller Macht die E-Mobilität durchzusetzen. Man kann kaum glauben, dass es hier nur um Umweltschutz geht. Hier soll ein neuer Markt für die Autoindustrie eröffnet werden.
Und doch ist die Tendenz gerade der herrschenden Kreise, das „Höher, Schneller, Weiter“, tatsächlich zu bremsen, unüberhörbar. Ich denke nur an die Geschichte vom Great Reset.
Gibt es also vielleicht noch einen anderen, elementareren Grund dafür, dass sich plötzlich die herrschenden Kräfte im Kapitalismus (zumindest ein Teil von ihnen) die Verantwortung für die Ressourcen der Welt selbst auf die Fahnen schreiben?

Dass es mit dem grenzenlosen Wachstum nicht ewig gut gehen würde, ist für denkende Menschen schon lange klar. Der Glaube an „Höher, Schneller, Weiter“ liegt keineswegs in der Natur der Menschen. Er wurde ihnen durch die neoliberale Wirtschaft und Ideologie seit Jahrzehnten eingebläut und ihnen als die große Freiheit verkauft.
Und jetzt zieht also plötzlich die Seite, die bis dato die Menschheit zu dieser neoliberalen Ideologie und Lebenspraxis gezwungen hat, selbst die Reißleine? Wollen sie ihrerseits nun selbst verhindern, dass unsere schöne Welt vor die Hunde geht?
Inzwischen singen die Spatzen das Lied vom „Great Reset“ von den Dächern. Manche werfen dem Vater des Great Rest, Herrn Schwab, sogar vor, einen sozialisitischen Kapitalismus“ einführen zu wollen. Handelt es sich hier etwa um eine Verschwörungstheorie? Keineswegs, denn sie wird offen vorgestellt und diskutiert. Und viele sehen darin eine große Chance. Die kapitalistische Welt soll umgebaut werden: ressourcenfreundlicher, umweltfreundlicher, sozialer, … und vor allem digitaler….
Was also ist da los? Sollen wir froh darüber sein?
Ist der Kapitalismus auf einmal humanistisch geworden? Jedenfalls wäre das doch eine erfreuliche Interessengleichheit zwischen Kapital und Menschen (genau, wie sie der progressive Neoliberalismus verspricht).

Die Ankündigungen der Tagesordnung in Davos im Sommer, machen klar, dass sie sich tatsächlich als die treibenden Kräfte einer solchen Erneuerung betrachten. Es sieht so aus, als wollten sie die Verantwortung für die Weltbevölkerung und die Welt übernehmen, d.h., die Menschen dazu zwingen, wieder Haus zu halten mit ihren Ressourcen etc.
Aber warum? Trauen die Herrschenden jetzt, nachdem selbst sie offenbar sehen, wohin dieser Neoliberalismus die Menschheit führt, der Bevölkerung, den Menschen, der Demokratie nicht zu, vernünftig zu sein? Und streben sie deshalb etwas an wie einen „Reset von oben“ an, eine Diktatur der herrschenden wirtschaftlichen Kräfte, aber eben gleichzeitig eine von oben gesteuerte Diktatur der Vernunft, eine Diktatur des wie auch immer aussehenden Humanismus? Meinen sie also, die Menschen in ihrem eigenen Interesse zwingen zu müssen zu ihrem Glück?
Und daran schließt sich für mich die Frage an: Ist das alles, was wir in dieser Richtung erleben, also nur ein Erziehungsprogramm?

Erziehung des Volkes?

Aber ich möchte nicht erzogen werden, von niemand und auch dann nicht, wenn die Erziehungsziele mir entgegenkommen. Ich persönlich ziehe eine Welt vor, in der die Menschen selbst und gemeinsam bestimmen, wo‘s langgehen soll. Ich will nicht durch eine starke Obrigkeit erzogen und geführt werden, weder durch einen Kaiser noch durch einen Tribun, noch durch irgendwelche Minister oder Experten usw. Ich will die Autonomie des freien Menschen und die unbehinderte Möglichkeit, mich mit den anderen demokratisch zu einigen.
Ich gebe zu, dass große Teile der Bevölkerung heute durch die erzwungene Jagd nach Erfolg, immer größerer Leistung und immer größerer Selbstvermarktung darum gebracht worden sind, die Gefahren der „Höher, Schneller, Weiter“-Ideologie zu erkennen und entsprechend ihren Lebensstil zu verändern. Es herrscht zunehmend eine allgemeine, gezielte Verdummung der Menschen gefördert durch die aggressive Werbung, durch oberflächliche, selektive Information der Medien, durch die Stimulation zu Konsum unter dem Vorwand einer dort erreichbaren Individualität.
Mir kommt es manchmal so vor, als würden viele Menschen froh sein und sich dadurch entlastet fühlen, dass eine starke Führung gibt, die Ihnen Verantwortung abnimmt und ihnen sagt, was zu denken und zu tun ist nach dem Motto: ‚Demokratie bringt ja nichts, verhindert schnelle und oft auch richtige Entscheidungen. Und mal ehrlich? Sind wir vielleicht Experten? Das wissen die alle doch viel besser.‘
Die Beliebigkeit massenhafter Informationen, Fake-News, das ständige Aufbauschen von dramatischen Ereignissen machen die Menschen mürbe, ängstlich und unsicher. Sie sind unzufrieden mit dieser Situation und suchen, wie es scheint, einen starken Führer. Zu den Zumutungen, genannt Herausforderungen, die die Regierung von uns allen verlangt, verhalten sich die meisten genauso, wie sie die Straßenverkehrsordnung hinnehmen oder das Finanzamt.

Und nun soll es einfach weiter gehen nach der Devise weitergehen: ‚Erst machen wir sie dumm, dann erziehen wir sie um?‘?
Es ist nicht gelungen, alle Menschen dumm zu machen. Es sind gar nicht wenige, die sehr wohl Wert auf die Fortsetzung der Demokratie und auf die menschliche Freiheit legen.

Die Mär vom guten Herrscher

Man könnte gegen meine Bedenken einwenden: ‚Aber wenn es doch nutzt, wenn auf diese Weise die großen Probleme der Menschen wie Umweltzerstörung, Epidemien, Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit beseitigt würden? Ist das dann nicht wertvoller, als die kleine persönliche Freiheit des einzelnen?‘
Ja, wir kennen sie gut, die Mär vom guten Unternehmer, dem gnädigen Herrn, dem mildtätigen König … Sicher gab es auch mal „gute Könige“, unter deren Herrschaft es dem Volk gut ging. Aber häufiger brachten sie Despotismus und Ausbeutung für das Volk. Erfahrung mit realen Diktaturen zeigen, dass es eine solche humanistische Diktatur sehr selten gab. Warum sollte es ausgerechnet der gute alte, bewährte Raubtierkapitalismus sein, der hier zum Vater aller Menschen mutiert. Frisst er nicht nur Kreide?
Wie sieht es denn aus mit den Plänen des Great Reset und wie mit der Realität, die uns erwarten würde: Gibt es irgendein Anzeichen dafür, dass mit der angekündigten, neuen verantwortungsvollen, vernünftigen, humanistischen Lenkung von oben dann auch etwas getan werden soll für die Entfaltung der Menschen als Persönlichkeiten, gegen die politische Apathie und Verdummung, gegen den Mangel an Denkfähigkeit und Bildung, gegen das Duckmäusertum, gegen die Einengung des Gedankenkreises auf das, was man ihnen vorbetet und gibt es Chancen für die Menschen, sich selbst zu bestimmen…?

Das Ursprungsinteresse des Kapitalismus hat sich sicher nicht geändert. Es dreht sich noch immer um Kapital-Akkumulation, um Profit und auch vor allen Dingen um Macht und darum, sie und den eigenen Reichtum zu erhalten. Und vielleicht liegt hier der Grund für die neue Einsicht: Eine Welt, die aus den Angeln geht, weil man sie selbst vor die Wand gefahren hat, ist auch für die Herrschenden dieser Welt ziemlich wertlos.

Wie steht es mit Corona?

Wir sehen jetzt schon bei den Maßnahmen der herrschenden Politik zu Corona:
Trotz aller Versprechen, zum Schutz und im Interesse der Menschen zu handeln, haben sich die autoritär entwickelten und durchgesetzten Maßnahmen losgelöst von denen, um dies geht. Es gibt null Beteiligung. Bei der Entstehung der Maßnahmen wegen Corona im Frühjahr 2020 wurde ausschließlich medizinisch biologisch – ja nicht einmal epidemiologisch – gedacht. Es wurden keine Sozialwissenschaftler oder Psychologen zur Beratung hinzugezogen – und schon gar nicht die Betroffenen. Die demokratischen Mitspracheebenen wurden übergangen. Die Schutzmaßnahmen werden nicht wie helfende, stützende, schützende Maßnahmen an die Bevölkerung herangetragen, sondern als Strafaktion durchgesetzt. Die Maßnahmen sind – auch unterstellt, der angenommene Gefährdungsgrad von Corona wäre eine angemessene Einschätzung – zum Teil völlig unsinnig, zutiefst bürokratisch und ähneln Schikanen. Auch im Falle der Pandemie: Die Menschen müssen offenbar auch hier zu ihrem Glück und zu Verhältnissen, die ihnen nützlich sind, gezwungen werden.
Wenn es sich hier um den Beginn bzw. die Beschleunigung einer Weltreform von oben (und das genau beansprucht der „Great Reset“ von sich) handeln sollte, dann geschieht diese bereits jetzt ohne Beteiligung der betroffenen Menschen.


Das Thema ist nicht neu…

Seit Beginn der Corona-Maßnahmen muss ich an die Erzählung von Dostojewskij denken, in der eine Begegnung zwischen Jesus und dem Großinquisitor beschrieben wird. Sie streiten um den Weg, wie die Menschheit zu behandeln sei und wie sie ihr Glück finden könne. Jesus möchte die Menschen freigeben zur Eigenverantwortung. Er glaubt an ihre Fähigkeit, gemeinsam richtige Wege zu beschreiten und aus Fehlern zu lernen. Der Großinquisitor dagegen möchte die Menschen wie kleine Kinder behandeln, die sich seinen Befehlen und Wünschen blind unterwerfen und ihm dankbar sind, dass er ihnen jede Verantwortung abnimmt.

Liest sich sehr spannend und ist hoch aktuell:
Dostojewskij: „Die Brüder Karamasow“, Kapitel 5 „Der Großinquisitor“ . Die Handlung spielt in Spanien, in Sevilla, in der furchtbarsten Zeit der Inquisition, als zum Ruhme Gottes täglich die Scheiterhaufen loderten.

Es bedarf keiner großen Fantasie, sich auszurechnen, wen diese Folgen und Nachteile am härtesten treffen werden.

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Die Bedeutung der Berührung für den Menschen und Folgen ihrer Entbehrung

Gedanken in Corona-Zeiten (2)

Social distancing ist zur neuen Pflicht geworden. Man könnte die Situation so beschreiben:
Wir halten Abstand und vermeiden jegliche Berührung aus Respekt und gegenseitiger Fürsorge. Obwohl wir gerade jetzt, um gemeinsam diese Krise leichter bewältigen zu können, dringend Nähe und Berührungen bräuchten, hilft uns nur soziale Distanz.“

 Was bedeutet Social Distancing
Die räumliche Distanzierung, auch räumliche Trennung oder physische Distanzierung  beinhaltet eine Reihe von nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zur Infektionskontrolle, die die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit stoppen oder verlangsamen sollen. Die Maßnahmen bezwecken, den Kontakt zwischen Menschen zu verringern und durch den Sicherheitsabstand die Anzahl von Infektionen, etwa durch Tröpfcheninfektionen, zu verringern.
Dazu zählen die Reduktion der räumlichen Nähe zu anderen Personen auf ein notwendiges Minimum, Mindestabstand in öffentlichen Räumen zu anderen von mindestens 1,50 Meter und der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur allein oder mit einer weiteren Person oder im Kreis der Personen des eigenen Hausstands. Darüber hinaus erließen einige Bundesländer Ausgangsbeschränkungen, die das Verlassen der eigenen Wohnung und das Betreten des öffentlichen Raums nur unter Vorliegen eines „triftigen“ Grunds erlauben. Ziel der bevölkerungsweiten Quarantänemaßnahmen ist die Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19. Eine Reduktion sozialer Kontakte, räumliche Distanzierung von anderen Menschen, die Vermeidung von Nähe und damit die Unmöglichkeit von Berührungen sind die praktischen und konkreten Aspekte der geforderten Social Distancing.


Betont wird immer wieder, dass der englische Begriff social distancing wörtlich ins Deutsche übersetzt als „soziale Distanzierung“ (Soziale Distanz) falsch, d.h. missverständlich ist, da dies impliziert, dass Personen gesellschaftlichen Abstand zueinander halten sollen. Es ginge keineswegs um eine soziale Isolation der Individuen, sondern um die räumliche Distanzierung von (möglicherweise) infizierten zu nicht infizierten Personen.
Vereinzelung und Isolierung wird also neuer Lebensstil gefordert, soziale Beziehungen sind möglichst nur noch virtuell zu pflegen oder im kleinen Familienkreis unter Quarantäne.

Aber was bedeutet social distancing konkret?

Die sozialen Fachkräfte sind sich weitgehend einig: Die Corona-Krise mit den staatlichen Regulierungen – zum einen die Schließung der Kindertagesstätten, Schulen und Freizeitzentren und zum anderen die massive Einschränkung des sozialen Kontaktes und Austausches (soziale Distanz, Vereinzelung, Maskenpflicht) – hat in hohem Maße vorhandene psychosoziale Probleme von Kindern, Familien, Jugendlichen verschärft und neue bedrohliche Krisen und benachteiligende Lebenslagen entstehen lassen. Klundt berichtet in seiner Text „Auswirkungen der Corona-Krise auf die Lebensbedingungen junger Menschen, dass Kinder über Einsamkeitserleben und Verluste der sozialen Netzwerkkontakte klagen. Soziale Kontakte sind speziell auch für ältere Menschen von ganz besonderer Bedeutung.

Warum brauchen Menschen soziale Kontakte?

Je länger die soziale Isolierung andauert, umso mehr sind Verkümmerungen von sozialen Fähigkeiten in direkten Begegnungen zu erwarten. Dieses Phänomen der Auswirkungen des Rückzugs ins virtuelle Leben war ja schon vor COVID-19 ein Thema. Ein Teil der Menschen kann der Isolierung Positives abgewinnen und sie teils auch als stressfreiere Zeit genießen, teils sogar als eine Art «Ferien». Viele aber werden vereinsamen, andere verzweifeln, in Familien oder Paaren kann sich die Spannung so aufladen, sodass häusliche Gewalt zunimmt oder auch der Alkoholismus. Internetsucht und exzessives Gamen werden vermutlich ebenfalls Folgen der durch die Regierung verordnete Isolierung sein. Menschen sind soziale Wesen. Sie brauchen direkte Kontakte mit anderen, sie brauchen auch «Auslauf» in Städten und Natur. Nimmt man ihnen das auf längere Zeit weg, wird das psychische Folgen haben.

Dass Soziale Kontakte für das psychsiche und körperliche Wohl von Menschen eine entscheidende Rolle spielen, kann man sogar in den Daten des Statistischen Bundesamtes nachlesen. Wissenschaftler stellten in verschiedenen empirischen Untersuchungen fest: Einsamkeit und ein Mangel an Freundschaften und sozialen Beziehungen haben einen stärkeren negativen Effekt auf die Gesundheit als klassische Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen oder Alkohol. Die positive Wirkung von Sozialkontakten ist sogar stärker als die negativen Folgen gesundheitlicher Risikofaktoren. Einsamkeit und soziale Isolation sind weit unterschätzte Risikofaktoren für Gesundheit und Lebenserwartung, die dem des Rauchens ebenbürtig ist.

Die WHO zeigte auf, dass psychische Probleme als Folgen einer Katastrophe von leichter Belastung bis zu sehr schweren psychischen Gesundheitsproblemen reichen. Auch bei Corvid-19 wird von einer deutlichen Zunahme der psychischen Störungen ausgegangen. Die Pan American Health Organization geht auf Grund bisheriger Erfahrungen bei der gegenwärtigen Corona-Krise von einer Verdoppelung sowohl der schweren als auch der mittelschweren psychischen Störungen (Psychosen, Depression, Angststörungen) aus. Die häufigsten Störungen sind: Anpassungsstörungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Angststörungen, emotionale Instabilitäten, unspezifische somatische Symptome, chronische Trauer, Drogenmissbrauch. Forscher gehen von 2153 bis 9570 zusätzlichen Suiziden weltweit im Rahmen der COVID-19-Pandemie aus[1]

Soziale Isolation verstärkt psychische Erkrankungen weltweit. In vielen Länder wird von Psychologen und Psychiatern beobachtet, dass Menschen, die bereits unter einer psychischen Krankheit leiden, diese durch die soziale Isolation noch mehr verstärkt wird. Je länger die Maßnahmen andauern, desto eher werden auch gesunde Menschen psychische Leiden entwickeln. Zunehmende Einsamkeit, gesundheitliche Sorgen, Stress und finanzielle Probleme belasten die psychische Gesundheit. In Amerika wird in einem Brief des Psychiatrischen Verbandes an den US-Kongress darauf hingewiesen, dass mehr als ein Drittel der Amerikaner angeben, das Corona-Virus und die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung würden ernsthaft ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen.
In Deutschland erforscht das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz die psychischen Auswirkungen der Corona-Krise. In einer Online-Befragung sollen die psychischen Reaktionen zur Bewältigung der Krise untersucht werden. Die ersten Ergebnisse zeigen: Bereits 37 Prozent der Befragten sorgen sich um ihre seelische Gesundheit. Das ist eine deutliche Verschlechterung gegenüber 2017.

Aber nicht nur unsere Gesundheit ist gefährdet: auch das Bild vom Menschen und der menschlichen Gesellschaft wird verreht

Doch nicht nur krankhafte Entwicklungen sind alarmierend. Die unter dem Diktat des social distancing erzwungenen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Menschen führen zu einem veränderten Welt- und Menschenbild. Das ist insbesondere mit Blick auf die Kinder, die in dieser veränderten Welt aufwachsen müssen, hoch problematisch.

So können z.B. die Angst, angesteckt zu werden und die Forderung nach social distancing zu nachhaltigen sozialen Veränderungen führen: Es besteht die Gefahr, dass sich Xenophobie, Feindseligkeit gegenüber Fremden aus anderen Kulturen, auch innerhalb der gleichen Kultur etabliert und manche Menschen schneller als bisher ausgegrenzt werden. Erschreckende Beispiele hierfür stellen etwa negative Reaktionen dar, die gesunde über 65-Jährige erhalten, wenn sie sich trotz des Aufrufs, möglichst zu Hause zu bleiben und sich von jemand Jüngerem die Besorgungen erledigen zu lassen, noch selbst auf den Straßen bewegen.
Denunziation wird auf einmal zu einer Tugend. Es sieht für Kinder plötzlich so aus, als sei es gesellschaftlich verantwortungsvoll und wertvoll, andere Menschen zu bespitzeln und zu verraten.
Misstrauen spüren auch Personen, die an COVID-19 erkrankt waren und wieder geheilt wurden. Es gibt Berichte, wie diese von bisherigen Freunden und Bekannten gemieden wurden, nachdem sie, die Krankheit überstanden und nicht mehr als ansteckend geltend, endlich wieder in ihr normales Leben zurückkommen durften.
Trauer um Verstorbene, Besuche in Krankenhäusern, Besuche bei alten Leuten, Kontakte mit den Großeltern, all das sind plötzlich mindestens fragwürdige Ereignisse, die man besser meiden sollte.
Des Weiteren stellt u.a. der Corona-Ausschuss (2020) [2]  im Rahmen der Anhörung von Fachkräften fest, dass im Rahmen der staatlichen Regulierungen von Kindern und Jugendlichen erwartet wird, dass sie die Anweisungen im Zusammenhang mit Corona strikt befolgen. Selbst die Hinterfragung der verordneten Maßnahmen wird ihnen verboten. Dem sozialen Druck und den aufgezwungenen Schuldgefühlen (nach dem Motto: z.B. „Wenn du nicht den Anweisungen folgst, wirst du deine Eltern oder Großeltern zu Tode bringen“) sind Kinder hilflos ausgeliefert. Sie werden in ständiger Furcht gehalten und auf diese Weise gefügig gemacht (ebenda). Die Experten befürchten, dass man die Kinder und Jugendlichen durch das auferlegte Denkverbot zu blindem Gehorsam erzieht

Die Schließungen der Schulen und Kindertagesstätten für mehr als 13 Millionen Minderjährige bedeuten einen massiven Eingriff in das Recht auf Bildung von Heranwachsenden. Die Videoeinsätze, die digitale Notbeschulung und ein gelungenes Home-Schooling erreichen faktisch nur eine begrenzte Gruppe von Elternhäusern und Kindern.
Gleichzeitig aber nimt diese Maßnahme den Kindern und Jugendlichen die für sie lebenswichtige Möglichkeit, täglich Gleichaltrige zu treffen und sich mit ihnen auszutauschenZudem wird seit Corona Schule für Kinder zu einem „lebensgefährlichen Ort“, einem Ort der Gängelung und Angst und der Erschwerung bis hin zur Untersagung sozialer Kontakte.

Vor Corona sind nicht alle gleich. Die vorhandene Ungleichheit nimmt vielmehr weiter zu.

Soziale Belastungen, psychische Traumata, Deprivierung, Gewalterfahrungen, Armutserfahrungen schwächen bekanntermaßen u.a. das menschliche Immunsystem. Menschen aus sozialen Unterschichten werden öfter krank als Menschen aus der Mittelschicht. Dies gilt auch für eine Infektion mit dem Coronavirus.
Die Hauptverlierer der Corona-Krise sind in vieler Hinsicht die sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen und deren Kinder. Wie immer wieder festgestellt, wurden sie während der Krise nicht beachtet und geschützt. Besonders aber für diejenigen, die schon vor Corona von Bildungsbenachteiligung betroffen waren, stellt die augenblickliche Situation … eine Belastungsprobe dar, die zu einer Verschärfung der ohnehin vorhandenen Benachteiligungen beitragen kann. Viele Autoren gehen davon aus, dass die benachteiligten SchülerInnen durch die erzwungene Bildungsexklusion noch weiter in eine bildungsmäßige Unterpriviligiertheit hineinrutschen werden.‘
Die Corona-Krise hat die „Umverteilung von unten nach oben … verstärkt“, so stellt Klundt fest. Noch mehr Kinder und Jugendliche als schon zuvor leben durch Corona in Armut.
Unterstützungen, Anregungen, Ratschläge in den Medien kamen vor allem für die Kinder, Jugendlichen und Eltern der Mittelschicht. Die massiven Folgen der staatlichen Regulierungen für die vulnerablen Teile dieser Gesellschaft wurden dagegen nicht gesehen und nicht beachtet.

Am aller schärfsten aber traf die Krise mit ihren Folgen, die Menschen ganz am Rande der Gesellschaft: Wohnungs- und Obdachlose, Straßenkinder, Drogenabhängige, Geflüchtete in Sammelunterkünften, Menschen, die regelmäßig die Tafeln aufsuchen waren in der Zeit der Corona-Krise ganz allein auf sich angewiesen.

Kann die (digitale) Technik die Folgen von sozialer Distanz und Kontaktsperren kompensieren?

Generell gilt sicherlich: Online-Beziehungen sind besser als keine Beziehungen. Gewisse Konzepte von Nähe können auch über Telefon oder Skype bedient. Aber eine zunehmende Verlagerung menschlicher Kommunikation und Interaktion auf Medien und die noch weit abstraktere digitalisierte Kommunikation kann persönliche Kontakte und lebendige Beziehungen nicht ersetzen und neben den Chancen zeigen sich auch beträchtliche Risiken und Nebenwirkungen.

Was auf Dauer wegfallen wird, ist diejenige Qualität von Kontakt, persönlicher Beziehung und Austausch, die die lebendige, erlebbare und sogar fühlbare Gegenwart des Kommunikationspartners erzeugt. Nicht nur, dass viele Aspekte der analogen Kommunikation nicht mehr bestimmend sind, es fehlen grundsätzlich die emotionalen Zwischentöne, die emotionale Einbettung und Untermauerung von Gesprächen. Die Emotionen bleiben bei den Einzelnen zwar bestehen, werden aber nicht mehr kommunizierbar und damit auch nicht kommuniziert.
Das alles ist nicht nur für den Alltag der Menschen, sondern z.B. auch in der Psychotherapie besonders problematisch. Manche PatientInnen und gesellschaftliche Gruppen sind eh schon sozial isoliert. Statt mit ihnen darauf hinzuarbeiten, wie sie sozial integriert werden könnten, regiert nun die Angst vor sozialen Kontakten, da in ihnen das Ansteckungsrisiko droht, also der Feind, der mich das Leben kosten könnte. Sozialphobien werden verstärkt. Selbst die Psychotherapie, ob Gruppen- oder Einzeltherapie, wird zunehmend auf Fernbeziehungen im digitalen Raum verlagert.
Aber genauso bedeutet es eine massive Erschwernis von Lernprozessen insbesondere bei jüngeren SchülerInnen, kleinen Kindern, aber auch weniger intellektuell geprägten Jugendlichen und Erwachsenen – von alten Menschen ganz zu schweigen.

Es bedarf keiner großen Fantasie, sich auszurechnen, wen diese Folgen und Nachteile am härtesten treffen werden.

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Die Bedeutung der Berührung für den Menschen und Folgen ihrer Entbehrung

Publiziert am 20.1.2021 von Mrs. Tapir

Gedanken zu Corona-Zeiten (3)

Social distancing bedeutet für die Menschen neben der Reduktion sozialer Kontakte und der Distanzierung zu anderen Menschen noch eine weitere gravierende Einschränkung ihres Lebens und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Es verhindert, ja untersagt die Berührung zwischen Menschen, indem es grundsätzlich eine räumliche Distanz zwischen Menschen er- zwingt.

Was bedeutet Berührung

Für eine Berührung ist schon rein technisch räumliche Nähe notwendig. Eine Berührungswahrnehmung ist immer angewiesen auf räumliche Nähe, auf einen leiblichen Kontakt. „Berührung ist an die körperliche Existenz gebunden und deshalb unter Umständen sogar Kristallisationspunkt der Vorstellungen vom Körper“[1].

Zwischen Berührung und Nähe besteht ein notwendiger logischer Zusammenhang. Nur wer im intimen Nahraum einer Person akzeptiert ist, darf diese Person berühren.
Körperliche und emotionale Nähe bedingen sich zum Teil gegenseitig. Ich kann eine Person körperlich berühren, weil sie mir emotional nah ist, und durch diese Berührung kann eine noch größere Nähe wachsen.

Berührung ist für Menschen existenziell notwendig

Viele Experimente zeigten, dass der Zugang zu einer angenehmen, warmen und weichen Berührung für menschliche Babys lebensnotwendig ist. Sie haben genauso Hunger nach Berührung, wie nach Nahrung. Ohne hinreichende Berührung sterben Säuglinge.

Spontan fällt da der alte Versuch ein, der bewies, dass kleine Affen, die nur von einer – aus blankem Metall – bestehenden Maschine Milch saugen konnten, sterben, während kleine Affen gedeihen, wenn genau die gleiche Maschine mit Fell bezogen ist und es den jungen Tieren ermöglicht, sich anzukuscheln.
Dem Säugetier Mensch geht es da nicht anders.

Die Haut ist in der menschlichen Entwicklung das erste funktionierende Sinnesorgan. Taktile Reize nimmt ein menschlicher Embryo ab dem zweiten Monat wahr. Wenn ein Neugeborenes noch nichts scharf sehen kann und ihm auch die Geräusche, die es wahrnimmt, noch diffus erscheinen, kann der dann bereits völlig ausgereifte Tastsinn dem Kind über Berührungen aktiver und passiver Art Orientierung geben und erste Erkenntnisse über Strukturen und Eigenschaften seiner Umgebung vermitteln.
Berührung fördert das Wachstum, die Stabilität und Gesundheit der Kleinkinder. Während ihre sonstigen Sinne bei der Geburt noch keineswegs ausgereift sind, hilft ihnen ihr Tastsinn und ihre Berührungssensibilität dabei, sich zu orientieren, sich ein Bild von der sie umgebenden Welt und den sie berührenden Menschen zu machen.

In vielen Kulturen verbringen Säuglinge ihre ersten Monate in ständigem Hautkontakt mit ihrer Mutter. In unserer Kultur wird die ständige Berührung eines Babys nicht unbedingt positiv gesehen. Befürchtet wird, dass das Kind verwöhnt werden könnte und so keine eigenständige Persönlichkeit entwickeln kann.  Im Unterschied zur immer noch weitverbreiteten Meinung, dass zu es ein Zuviel an körperlicher Zuwendung für Säuglinge gäbe, vertreten die meisten Anthropologen heute den Standpunkt, dass diese Art der „Verwöhnung“ eine gute Voraussetzung dafür ist, dass ein Kind unabhängig werden kann. “
Sie vertreten die These, dass Berührung zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehört, deren Befriedigung überlebenswichtig ist. Damit stellen sie Berührung auf eine Stufe mit Hunger, Durst und Schlafbedürfnis, während z.B. die Sexualität nicht überlebenswichtig sei.

Das Bedürfnis nach Berührung ist demnach keineswegs etwas speziell Kindliches. Menschen brauchen immer Berührungserfahrungen, um gesund zu bleiben: als ältere Kinder, als Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene im Mittleren Alter und als alte Menschen.
Zärtlichkeit, Berührungen sind überlebenswichtig, für kleine Kinder sind sie existentiell notwendig, für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, alte Menschen sind sie weiterhin von zentraler Bedeutung für die psychische Gesundheit.
Berührungsdefizite führen zu Erkrankungen und zu Ersatzhandlungen. Die schaukelnden Bewegungen der Kinder in früheren Heimen, das sich Selbstumarmen und vielleicht auch das Ritzen sind Hinweise auf Berührungsmangel.

In unserer westlichen Gesellschaft scheut man sich oft, kranke und alte Menschen anzufassen und sie zu berühren. Für sie gibt es kaum noch Gelegenheiten, freundlich und zärtlich berührt zu werden. Sie erfahren z.B. auch in Altersheimen eher harte, demütigende Berührungen, die nicht Einfühlungsvermögen, sondern Macht und Hetze ausstrahlen. Die ambulante Pflege lässt für solche Handlungen keinerlei Zeitkontingente. Kranke und Alte aber bedürfen der körperlichen Berührung im hohen Maße. Das Berührungsbedürfnis nimmt im Alter nicht zu, aber es bleibt genau so stark wie vorher.  Das Aussehen der Haut verändert sich im Alter, aber ihre Funktion nicht. Der taktile Sinn ist vielmehr jetzt besonders wichtig, da er das Nachlassen der anderen Sinne kompensieren muss.
Das Gefühl von Loslösung und Entfremdung, dass viele alte Menschen empfinden, könnte aber durch liebevolle Berührungen abgebaut werden.

Verschiedene Forscher gehen davon aus, dass, wer nicht berührt wird und die kräftigende Körperfreude entbehrt, Ersatz sucht und/oder langfristig Aggressivität entwickelt.
In einer Gesellschaft geltende Berührungsregeln und -tabus, führen dazu, dass Menschen sich überlebenswichtige Berührungen auf Umwegen besorgen (müssen). In diesem Kontext sind z.B. jugendliche Raufereien, Besuche bei Ärztinnen und Masseurinnen und diverse sportliche Aktivitäten zu sehen.

Die taktile Wahrnehmung ist eine ganz Besondere

Die Empfindlichkeit der Haut für Berührung ist einer der grundlegendsten menschlichen Sinne. Manche Forscher sprechen von der Haut als vom 2. wichtigsten Organ des Menschen nach dem Gehirn. Berührung wird durch den Tastsinn erfahrbar. Der Tastsinn ist die Sinneswahrnehmung unserer Haut. Die Haut ist ein lebenswichtiges Organ unseres Körpers. Mit ihr berühren wir und an ihr werden wir berührt, sie umhüllt uns, sie grenzt uns nach außen ab, sie ist fest und elastisch, weich und hart, feucht und trocken, und sie erneuert sich ständig.
Man muss sich klarmachen: Die Haut ist ein Sinnesorgan. Über sie nehmen wir Berührungen, Wärme, Kälte, Schmerz, Druck und die verschiedensten Variationen dieser Empfindungen wahr, und auch in dieser Funktion ist die Haut unersetzlich für uns Menschen. Es gibt zahlreiche Eigenschaften von Gegenständen, etwa: Gewicht, Temperatur, Härte, Rauheit Feuchtigkeit, Klebrigkeit und Elastizität, die nur über die Hautsinne, nicht aber über Hören und Sehen erkundet werden. All dies sind Merkmale, die wir nicht sehen, hören, riechen oder schmecken können, wir müssen sie fühlen.
Als Sinnesorgan verfügt die Haut über einige Besonderheiten im Vergleich zu den anderen Sinnesorganen:

  • Wir können mit unserem ganzen Körper Berührungen wahrnehmen.
  • Während andere Sinneswahrnehmungen auf ein Organ, einen Bereich konzentriert sind, umfasst Berührung den ganzen Körper.
  • Wenn wir berührt werden, reagieren wir unweigerlich, aber nicht notwendig im Sinne einer Interaktion.
  • Bei uns selbst entstehen Gefühle und Stimmungen, sie verändern oder bestätigen sich, unsere Einschätzung einer Person oder einer Situation wird beeinflusst. Dies erfolgt unter Umständen, ohne dass die Berührung in unser Bewusstsein vordringt, und dennoch hat sie Spuren hinterlassen. Wir haben den Kontakt wahrgenommen, unser Gehirn registriert Struktur, Temperatur und Beschaffenheit dessen, was wir berührt haben oder was uns berührt hat. Es entsteht ein hochdifferenzierter ‘Eindruck’, den wir mehr oder weniger bewusst und lange erinnern.
  • Berührungswahrnehmungen können wir zudem nicht ausweichen. Ebenso wie bei akustischen Reizen, können wir auch vor Berührungen nicht ‘die Augen verschließen‘.
  • Und schließlich erweitert Berührung den Blick auf die eigene Identität:
  • Eine wichtige Besonderheit der Wahrnehmung über die Sinne der Haut ist, dass hier die Wahrnehmung des eigenen Körpers und die Wahrnehmung der Außenwelt immer gleichzeitig erfolgen. Bei aktiver Berührung ist zwar die Wahrnehmung des Ertasteten im Zentrum der Aufmerksamkeit, wohingegen bei passiver Berührung, beispielsweise bei einer Massage, das eigene Körperempfinden im Vordergrund steht. Aber immer wird sowohl das eine wie das andere getrennt wahrgenommen.
  • Das Taktile liefert also gleichzeitig eine ‘äußere’ und eine ‘innere’ Wahrnehmung.

So beschreibt es Wagner (s.o.): „Während unsere anderen Sinnesorgane vor allem nach außen oder nach innen gerichtet sind, erfüllt die Berührungswahrnehmung ihre Aufgabe an der Grenze zwischen innen und außen. Wenn wir über unsere Augen den eigenen Körper wahrnehmen, so ist dies eine Wahrnehmung von ‘außen’, sie ermöglicht nicht eine Wahrnehmung als ein eigenständiges ‘Ich’. Über unsere Augen können wir unseren Körper sehen, wenn auch nur mit Hilfsmitteln wie Spiegeln und Kameras. Über die Hautwahrnehmung jedoch spüren wir uns selbst, unseren Körper, auch wenn wir eine andere Person anfassen. Eine Berührungswahrnehmung ist gleichzeitig verbindend und trennend. In ihrer trennenden Funktion ermöglicht sie die Wahrnehmung des eigenen Selbst als ein getrenntes von der Außenwelt“.
So kann eine Berührung auch dazu führen, dass die körperliche und emotionale Situation deutlicher wahrgenommen wird. Wir werden mit unserer eigenen Existenz konfrontiert und erleben deutlicher als vorher die Signale unseres Körpers. Die Berührung bringt uns näher zu uns selbst und dort sind wir weniger einsam, denn diese Begegnung kann heilsam sein, auch wenn wir Schmerz und Trauer verspüren.
Diese Wahrnehmung der Realität und gleichzeitig des eigenen Ich durch die Berührung ist eine für die menschliche Entwicklung existentiell wichtige Funktion von Berührung.

Eine emotional zugewandte Berührung heilt und fördert Entwicklung

Die Wissenschaft hat erforscht, dass Berüh­run­gen von unse­ren Mit­men­schen nicht nur Stress redu­zie­ren, son­dern auch unse­ren Blut­druck und das Level des Stress­hor­mons Cor­ti­sol ver­rin­gern. Regel­mä­ßige Umar­mun­gen sollen unse­ren Blut­druck fast genauso effek­tiv senken wie Medi­ka­mente. Außer­dem geht der Oxy­to­cin-Spie­gel durch zwi­schen­mensch­li­che Berüh­rung nach oben, wodurch unsere Angst geschwächt und unser Ver­trauen zur ande­ren Person sowie unsere Empa­thie-Fä­hig­keit gestärkt wird.
Eine Berührung, die zärtliche Aspekt hat oder sogar als Zärtlichkeit benannt werden kann, ist wie oben beschrieben für Menschen jeden Alters lebensnotwenig.
Der kommunikative Inhalt einer freundschaftlichen, zärtlichen, intimen Berührung ist dabei ein ganz anderer als bei einem aufmunternden Schulterklopfen oder einer kräftig geschüttelten Hand, auch wenn beides Bestärkung und Unterstützung vermitteln kann. Wir berühren eine andere Person wie einen empfindlichen und wertvollen Gegenstand, und tatsächlich sprechen wir ja auch davon, dass ein Mensch ‘zerbrechlich’ wirkt. Während wir häufig darum bemüht sind, Stärke zu demonstrieren, unsere Kompetenz und Souveränität zu zeigen, wissen wir in privaten und intimen Situationen diese Anerkennung unserer gleichzeitig vorhandenen Schwäche und Verletzlichkeit zu schätzen. Die Sehnsucht nach zärtlichen Berührungen, ist die Sehnsucht danach, als ganze Person, auch mit diesen nicht so öffentlichkeitswirksamen Seiten, gesehen und geliebt zu werden.

Zweifellos gibt es auch Berührungen, die eine emotional negative Botschaft senden.
Nicht jede Berührung ist beruhigend. Bedingung für eine angenehme Berührung ist die beiderseitige Bereitschaft dazu. Wird die Berührung deutlich nur von einer Seite initiiert und gewollt, ist dies ein Ausdruck von Macht über eine andere Person und damit auch ein Ausdruck potenzieller Gewalt. Dies gilt sowohl für private, tatsächlich oder vermeintlich freundschaftliche oder intime Kontakte, wie auch für Kontakte im Arbeitsleben und ebenso für die professionellen Berührungen (ärztliche Untersuchen, Massage etc.).

Berührung in ihrer einfühlenden und verständnisvollen Variante sendet immer die Botschaft: „Ich bin da. Du bist nicht allein.“ Sie entspannt, entlastet, tröstet und beruhigt. Sie macht froh und lebenszugewandt. Eine solche Berührung hat positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Sie stärkt das Immunsystem, vermindert Stress, Verspannungen und Schmerzen Berührung kann heilen. Cohen weist das in ihrem Buch vielfältig, mit Verweisen auf Geschichte und andere Kulturen und mit Blick auf die heutige westliche Heilkunde in der Schulmedizin und vor allem in den Therapieverfahren hin, die auf die heilende Wirkung von Berührung aufbauen.

Anhand ihrer empirischen Untersuchung stellt WAGNER (s.o.) fest: “Eine freundschaftliche oder auch intime Berührung vermittelt Kontakt und Verbindung und setzt so den Gefühlen der Einsamkeit und Isolation etwas entgegen. In einer Situation der Angst und Unsicherheit vermittelt die aufmerksame Berührung, dass die berührte Person nicht allein ist mit der ängstigenden Situation, sondern sich des Beistandes und der Hilfe der Berührenden sicher sein kann.“
Berührung verbindet mit der Gegenwart und mit der körperlichen Existenz. Durch eine gute Berührung kann ein Mensch in schwierigen Situationen in die Lageversetzt werden, den Kontakt zur Realität aufrechtzuerhalten und das Aufkommen von Panik und Übererregung zu verhindern. Berührung hält uns fest und mit ihr können wir uns festhalten. Die Hände einer anderen Person vermitteln Halt und Stütze, und dies hilft uns, Haltung und Ruhe zu bewahren, auch in beunruhigenden Situationen. Wenn Menschen von ihren Berührungserlebnissen sprechen, so berichten sie, dass die Berührung ihnen Trost, Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen und Mitgefühl vermittelt hat.

Und wenn es zu wenig oder keine Berührung gibt?

Die häusliche Isolation, das Verbot der und damit auch die Diffamierung von Berührung und körperlicher Nähe, sowie das Verstecken der menschlichen Mimik hinter einer Maske, die die nonverbale Kommunikation fast unmöglich macht, bedeuten, dass für Menschen erforderliche Lebens- und Entwicklungsbedingungen verwehrt werden. Ebenso wirkte sich die neue, verwirrende, als bedrohlich erlebte Situation auf die Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen negativ aus. Die Isolation und Trennung von Freunden und MitschülerInnen im Shutdown wird von vielen Autoren als eine enorme Gefährdung ihrer Entwicklung eingeschätzt.
Ein Baby würde ohne Berührungen und Hautkontakt zu Grunde gehen oder eine schwere psychische Störung entwickeln. In späteren Altersphasen wirkt dieser Mangel vielleicht nicht so drastisch und direkt. Aber dass fehlen von Berührungen und Berührungsmöglichkeiten belastet Menschen jeden Alters.
Unsere Gesellschaft ging auch vor Corona mit Berührungen und Berührungsempfehlung eher spartanisch um. In Corona-Zeiten bekommt die Berührung eine grundsätzlich negative, ja bedrohliche Konnotation, das heißt: Berührung ist nichts Positives, nicht Wunderbares, Erstrebenswertes, Wertvolles. Vor Berührung sollte man sich schützen. Sie ist gefährlich. So lernen es heute Kinder, die in dieser verrückten Zeit ihre ersten sozialen Erfahrungen machen müssen.
Noch mehr als schon früher, als Zärtlichkeit unter Erwachsenen fast nur im Kontext von Sexualität vorstellbar war, ist Zärtlichkeit jetzt sogar etwas eher Anstößiges.
Wie sollen so kleine Jungen lernen, das man mit anderen Menschen nicht nur kämpfen und sie herumstupsen kann, dass es auch so etwas wie eine zärtliche Berührung gibt.
Wie sollen jetzt noch unsere Männer begreifen, dass im Sex für Frauen die Zärtlichkeit so wichtig ist wie für sie die Steifheit ihres Gliedes?

Das Berührungsverbot bedeutet für Menschen ein emotionales Verhungern.

Und wie steht es hier mit der Möglichkeit, die wirkliche, menschliche Welt digital zu kompensieren?
Zärtlichkeit ist virtuell nicht darstellbar. Ein Mangel an Berührung kann schlecht digital oder nur technisch kompensiert werden. Oder wollen wir uns auf Dauer mit Visionen zufriedengeben, wo man Streicheleinhalten eines Automaten oder die „Dienstleistung Streicheln“ buchen kann oder wo man mit Fellpuppen seine Berührungssehnsucht stillen muss wie die kleinen Rhesusaffen im Experiment?
Wie stellt man sich eine Welt auf Dauer vor, in der Berührung verboten oder gar strafbar ist, tabuisiert wird und als gefährlich gilt. Kommt da nicht ein globaler menschlicher Hospitalismus auf uns zu?


[1] Uta Wagener (2000) Fühlen-Tasten-Begreifen Berührung als Wahrnehmung und Kommunikation Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg