Das andere Amerika

   

Gesehen gestern Abend bei Arte:
eine Reportage über Menschen, Bewegungen, Strömungen in den USA, die das andere Amerika repräsentieren, ein Amerika, das dem derzeitigen Gesamteindruck von einer bornierten, engstirnigen und am bloßen Schein und an ihrer Weltmachtstellung orientierten  Nation entgegen- und widersteht.    

http://www.arte.tv/de/geschichte-gesellschaft/Das-andere-Amerika/1605436.html

Eine tröstliche Sendung für mich, die ich im Nachkriegswestdeutschland aufgewachsen bin und zu deren Sozialisation die USA auf eine gewisse Weise ganz entscheidend dazu gehörte: mit den schwarzen Amerikaner im Straßenbild meiner Kindheit, mit den Care-Paketen…
Und auch in meiner Jugend waren die USA für mich immer präsent und gehörten zu meiner Lebenswelt dazu: mit ihrer Sprache, ihrer Musik, ihrem immer einwenig Voraussein in den Entwicklungen, die kurze Zeit später uns in Deutschland erreichten, aber sicher auch und dass vor allem: mit all ihren Widersprüchen.
Meine Jugend hat so etwas wie eine Haßliebe zu diesem Land begleitet. Natürlich waren die USA auch damals das, was sie heute immer mehr werden: eine Nation, die sich für den Nabel der Welt hält, eine latent dogmatische, bibelfixierte und die Bibel für ihre Herrschaftideologie mißbrauchende Nation. Die Lage der Schwarzen, der Vietmnamkrieg, das waren Aspekte dieses Landes, die einen auch damals in Harnisch bringen konnten. Oder die hübsche sozialpsychologische Untersuchung in den 70er Jahren, bei der die Versuchspersonen befragt wurden, wieviel Millionen Tote sie auf der eigenen und auf der Seite der Feinde (damals noch nicht die heutigen „Schurkenstaaten“ sondern die sozialistischen Staaten) riskieren und akzeptieren würden, wenn es nötig sei, einen atomaren Schlag in diese Richtung zu starten….

Aber immer war es damals auch das Land der Hoffnung und der Freiheit, der Toleranz, der Möglichkeiten.
Und in manchem Hollywood Film konnte man sehen, dass es in dieser Nation auch Leute gab, die in der Lage waren, ihre Gesellschaft zu durchschauen und die reaktionären Tendenzen zu bekämpfen und zu enttarnten. Mir fallen da spontan zwei meiner alten Lieblingsfilme ein: „Die Faust im Nacken“ und „Ein Mann wird gejagt“ http://www.prisma-online.de/ksta/film.html?mid=1965_ein_mann_wird_gejagt.(Die Filme, auch die kritischen Filme  eines Landes bilden aber leider nicht die Realität ab sondern oft nur die Träume von einer anderen Realität. Das habe ich auch erlebt mit vielen DEFA Filmen, die erstaunlich kritisch mit der realsozialistischen Gesellschaft umgingen.)
Es schmerzt mich heute, dass von diesem immerhin widersprüchlichen Amerika, das zu meinem Leben dazu gehörte und das ich nicht missen möchte, z.B. für Ossis, die die USA nur noch so erleben, wie sie sich heute gebärdet, nichts mehr zu sehen ist.
Dieses andere Amerika, das ich kannte und immer auch geliebt habe, ist in den letzten Jahren, verstärkt seit dem 11. September immer mehr entschwunden.
Die Dokumentation gestern hat mir ein kleines Stück davon wieder gegeben.

Das ganze ist kein neues Phänomen:
Erstaunliches findet sich schon in der Reisereportage „Aufzeichnungen aus Amerika“ von Charles Dickens aus dem Jahre 1842. Viele Widersprüche und Grundthemen, die er auf seiner Reise einfängt, kommen einem höchst modern und aktuell vor.

http://www.perlentaucher.de/buch/13829.html

Dickens widmet sein Buch genau jenem Amerika, von dem gestern in der Artereprotage die Rede war:

„Ich widme dieses Buche meinen Freunden in Amerika, die nach einem Empfang, dessen ich mich stets mit Stolz und Dankbarkeit erinnern werde, meinem Urteil seine Freiheit ließen und die, weil sie ihr Vaterland lieben, die Wahrheit, wenn sie wohlmeinend und nicht verletzten gesagt wird, vertragen können“.

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