„Ich glaube“, sagt meine Älteste, die heute zum Mittagessen eingeflogen ist bevor sie wieder nach Nepal abreist, über den Landweg diesmal, um dort ihre letzten Interviews für ihre Examensarbeit zu machen, „ich glaube“, sagt sie also mit größtmöglicher Nachsicht in der Stimme, “ ihr könnt sowas einfach nicht hinnehmen und so sein lassen wie es eben ist, ihr wollt inmmer die Welt verändern!“
Ich stelle fest: Sie hat Recht. Und hätte diese unsere Welt es nicht verdammt nötig? Erst in den letzten Jahren ist mir aufgegangen, dass die Welt, in der ich aufgewachsen bin, und die weiß der Himmel auch nicht unbedingt die beste Welt war, die man sich denken kann, dass diese Welt sich vollständig verändert hat. Ich weiß mitunter nicht, ob ich noch so große Lust habe, in dieser Welt zu leben.
Zumindest habe ich keine so große Lust, mich an diese Welt zu gewöhnen, so wie sie ist.
Vor ein paar Jahren, aufgefordert in Analogie zu Brechts „An die Nachgeborenen“ ein Gedicht zu schreiben, habe ich Folgendes verfasst.
Und auch heute könnte ich nicht viel hinzufügen:
An die, denen die Zukunft gehört
I
Ja sicher, uns geht es gut.
Sogar unsere Armen sind meistens satt.
Die auf der anderen Seite stehen,
sehen uns mit Neid und Hass.
Man sagt euch, ihr müsst verteidigen,
was euer ist. Und warum?
Ich kann die Tür nicht verschließen vor denen,
die Einlass begehren.
Ich kann nicht sagen: Dies hier gehört uns.
Es gehört den Menschen.
Ich kann auch nicht sagen:
unsere Götter sind die besseren,
unsere Sitten sind die richtigen,
unsere Gedanken sind wahrer als ihre.
Rom bleckt mal wieder die Zähne.
Es hat die besseren Waffen
und einen großen Hunger.
Recht hat, wie immer, wer stärker ist:
Im Namen Gottes, der Demokratie und
was sonst noch so einfällt.
Dies ist keine Welt,
die wir euch mit Stolz hinterlassen.
Dies ist das Reich des Wolfes im globalen Pelz.
An seinem Hof herrscht der allmächtige
Spaß, und das Gerassel der Kassen
füllt die Hirne und Herzen.
Wir haben versucht, unsere Welt zu verändern.
Darüber sind wir alt geworden.
Diese hier wollten wir verhindern.
Es ist uns nicht gelungen.
II
Damals, zwischen Kuckucksnelken
und zerbrochenen Bodenfliesen in Ruinen,
haben wir gelernt zu überleben
und zu träumen.
Die Kletterpartien über die Trümmer der Welt
unserer Vorfahren und über die
Eisenträger des Wirtschaftswunderlandes
konnten seelische Schieflagen
nicht verhindern. Dennoch:
Das Gute schien machbar.
Wir wollten, wie viele vor uns,
die Welt wieder auf die Beine stellen, wir,
die Kinder von Lenin und Brecht,
(von Marx und Coca Cola. Wer kennt den noch?).
Damals hätte ich sofort gewusst,
was es zu sagen gäbe an die Adresse der
Nachgeborenen: Menschenwürde
und Gerechtigkeit hätte ich besungen, und
gesprochen hätten wir voll Klugheit
über die dornigen Wege bis dahin.
Die sich als unbegehbar erwiesen. Wenig später.
Als ihr dann kamt, Hoffnungsträger, Schreihälse,
waren mir die Argumente
schon aus den Händen gefallen.
Ich fand mich auf einmal wieder
in der besten aller derzeit möglichen Welten.
Alle Leuchttürme waren erloschen. Es wurde kalt.
Euch sah ich heranwachsen. Ich brachte euch
das Überleben bei, aber ich wagte es nicht mehr,
eurem Werden eine Richtung zu geben.
Ich hatte die meine verloren.
III
Heute gehe ich angewidert und tatenlos
ein und aus in der plastikknisternden Welt
des Wolfes. Hofnärrin und müde.
Das Leiden der Menschen sehe ich
auf dem Bildschirm und manchmal
an den Straßenecken. Noch immer
schlägt dann mein Herz die Hände
vors Gesicht und weint. Ihr aber
schreitet achselzuckend mitten durch.
Das macht mich sehr traurig.
Ich sehe euch andere Wege beschreiten,
zu anderen Zielen.
Was soll ich euch also sagen?
Unsere alten Träume
entlocken den Heutigen
doch höchstens ein Lächeln.
Was ich euch mitgeben konnte,
trägt nicht weit.
In dieser Welt, die die eure ist,
braucht man ganz andere Schuhe.
Ihr aber fürchtet euch nicht.
Ihr geht einfach nach vorne.
Der Hof des Wolfes ist euer zu Hause.
Ihr habt gelernt,
nach seiner Pfeife zu tanzen und
hinter seinem Rücken euer Ding zu drehn.
Das ist eure einzige Chance.
Denn ihr werdet leben,
wo ich nicht mehr leben muß.
Ich denke an euch mit Nachsicht.
Du hast völlig Recht.
Ich dachte bei diesen Zeilen erst mal an meine Kinder und die sind immerhin so priviligiert und mit Ressourcen ausgestattet, dass sie sich diese neue Welt zutrauen und meinen, ihr begegnen zu können.
Natürlich ist das, was jungen Menschen heute abverlangt wird eigentlich unerträglich und für viele von vorneherein nicht zu bewältigen. Ich weiß aber nicht, ob diese Menschen bewußt Angst vor dem emnpfinden, was die Gesellschaft ihnen zumutet. Das Bild vom flexiblen und erfolgreichen jungen Menschen wird auch ihnen täglich vorgegaukelt und vorgespielt und sie werden angehalten, der Illusion nachzujagen, dass sie es schaffen können, zu den Erfolgreichen dazu zu gehören. Drogen sind so gesehen vielleicht ein Versuch, diese Illusion zu erhalten und Gewalt könnte ein Versuch sein, die das Ziel der Illusion zu erzwingen.
„Ihr aber fürchtet euch nicht“ ?
Ich weiß nicht, da sind doch viele, die mit der Wolfs-Welt nicht zurechtkommen und aus Furcht sich in Gewalt oder Drogen flüchten.
Aber sonst stimmt Dein schönes Gedicht. Ich möchte heute nicht jung sein…