Es ist mein letzter Arbeitstag vor der Weihnachtspause. Meine Motivation ist schon ziemlich abgesackt. Ich bin erstaunt, wie viele meiner Studenten so kurz vor Weihnachten noch kommen.
Es ist mein Seminar Familienkommunikation, in dem ich versuche, den Studierenden ganz konkret Möglichkeiten zu zeigen, wie sie als SozialpädagogInnen Kommunikationsprobleme in Familien bearbeiten können.
‚Heute geht es um das Phänomen, dass Menschen sich erbittert über Sachzusammenhänge streiten und eigentlich aber unausgesprochen dabei über ihre Beziehung sprechen und streiten. Ich ziehe mit der noch verbleibenden Energie ein möglichst zum letzten Seminartag vor Weihnachten passendes Beispiel aus der Tasche:
Mutter, frisch geschieden, alleine lebend mit dem 16jährigen Sohn, die beiden älteren Kinder sind aus dem Haus. Seit dem 1. Advent geht bei jedem Abendbrot der Streit los: sollen wir für uns beide dieses Jahr einen Tannenbaum zu Weihnachten kaufen oder nicht? Die Mutter führt alle Argumente der Welt dagegen an, die hohen Preise, die so schnell nadelnden Bäume, die fehlende Platz in der Wohnung usf. Der Sohn kämpft erbittert gegen seine Mutter an und führt die Tradition an und dass es doch immer so war, dass er gerne einen kleinen und billigen Baum akzeptieren will, dass Weihnachten ohne Tannenbaum einfach kein Weihnachten ist. ..
Ich für meinen Teil versuche, die eigentlichen Argumente anzusprechen und herauszuhören und die beiden Kampfhähne zumindest dazu zu bekommen, dass sie begreifen, worum es dem jeweils anderen wirklich geht:
Der Mutter geht es darum, dass sie einen Schlussstrich hinter das bisherige Familienleben ziehen kann, dass sie Weihnachten neu und unbefangen erleben kann, ohne traurig an die 10 schönen und ohne wütend und frustriert die folgenden, die 10 schrecklichen Jahre ihrer Ehe- und Familienzeit denken zu müssen ….
Der Sohn möchte ein Stück seiner verlorenen Familienkindheit zurück bekommen und er will glauben können, dass er für seine Mutter nicht lästiges Familienüberbleibsel sondern ihr geliebtes Kind ist , für den ein schöner Weihnachtsbaum genau so lohnt wie früher für alls Drei…..
Das Rollenspiel klappt prima und ich stoppe schließlich, als der Sohn zu seiner Mutter sagt: „Ich will dir was sagen, mit deiner Trennung von Papa bin ich überhaupt nie einverstanden gewesen!“ und jetzt wirklich über die Beziehung Mutter-Sohn gesprochen werden würde….. Die Studenten sind zufrieden. Ich auch, aber gleichzeitig bin ich erschüttert
Was mich erschüttert, ist, dass diese kleine Szene bei fast allen Anwesenden zwischen 22 und 29 eine heftige Anteilnahme auslöste. Sie erhitzten sich für die Erhaltung der Weihnachtsbäume in ihrem Leben. Sollte die gesamte Situation für sie wiedererkennbar gewesen sein? Mit diesem kleinen Beispiel habe ich – ohne es zu ahnen – die Gemütslage meiner Studenten offenbar genau getroffen.
Ich fahre nachdenklich und irgendwie erschrocken nach Hause in meine Wohnung, wo dieses Jahr so gut wie nichts an Weihnachten erinnert.
Weihnachten steht für Familien und für glückliche Familie. Wir alle wissen, dass wir jedes Jahr an irgendeinem Punkt dieser rituaellen Geschichte enttäuscht werden von unseren Familien-Weihnachts-Feiern. Die Kinder haben sich ihre Geschenke anders vorgestellt. Die ersehnte Gemütlichkeit, das gemeinsame Erzählen über all das, was jedem im letzten Jahr passiert ist, bleiben auf der Strecke, weil die alten Streitereien und Empfindlichkeiten ausbrechen…
Aber die Sehnsucht bricht jedes Jahr wieder neu aus.