Ganz so lange bin ich nicht dabei, aber ich kenne noch die Zeiten, wo wir dicht gedrängt standen, wo wir nicht schlichen, wie bei einer Fronleichnamsprozession, sondern wirklich ausgeschritten sind oder gar Arm in Arm rannten
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Ich kann mich an Antikriegs-Demos erinnern, wo wir uns zu stark gefühlt haben und voller Hoffnung.
In Berlin gingen heute zwar nicht zig Tausende auf die Straße wie vor 20 Jahren, aber es waren definitiv deutlich mehr, als die Polizei sich und der Öffentlich einreden will, wenn sie von 350 spricht.
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Nach meiner Schätzung waren es sicher an die 1000 Leute.
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Bei strahlendem, wenn auch kaltem Frühlingswetter zog ein bunter Menschenzug vom Adenauerplatz bis zum Breitscheidplatz. Überall Plakate, rote Fahnen und leuchtende blaue Luftballons mit der Friedenstaube.
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Es war ein buntes Volk, viele politische Splittergruppen, viele Individualisten, die ihren Demonstrationsspruch auf kleine und große Plakate geschrieben hatten : Ich möchte nicht, dass man mich am Hindukusch verteidigt, Ich bin Irak,Soldaten raus aus Afganisthan, Krieg fängt mit üben an.
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Vertreten war stark die Linke, auch Ver.di . Die Grünen, die lange Jahre mit dabei waren – wie vom Erdboden verschollen. Nur konsequent, immerhin.
Viele DemonstrationsteilnehmerInnen waren schon über 50, alle mit dem Bedauern im Blick, dass die Friedensbewegung nicht mehr das ist, was sie einmal war: eine wirkliche Massenbewegung. Ich habe aber auch eine ganze Menge junge Leute gesehen.
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Der Zug ging vorbei an der Gedächtniskirche. Wer denkt noch daran, woran sie erinnern soll?
Nichts vergessen Menschen so schnell wie etwas Schreckliches, das war. Aber noch weniger sind sie offenbar bereit, Gefahren und Schrecknisse, die auf sie zu kommen, zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Sinne wurde Brecht zitiert bei der Abschlusskundgebung.
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Die dringende Sorge um Frieden bewegt Menschen in allen möglichen Lebenssituationen.
Leider nicht annähernd genug.
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Ich bin aufgewachsen in der Zeit des kalten Krieges, in der uns die Furcht vor einem neuen Krieg immer präsent war.
Und heute? Nimmt es überhaupt jemand zur Kenntnis, dass auf der Welt zur Zeit so viele Kriege blutig ausgetragen werden? Und wer es ist, der diese Art von Politik mit Schwung vorantreibt?
Findet jemand noch was dabei, dass die Deutschen mal wieder mitmischen im großen Verteilungskrieg, diesmal um Öl, unter dem Motto: wir bringen denen die Freiheit und die Demokratie.
Warum gewöhnen sich Menschen daran, dass Menschen sterben, bis heute 4000 amerikanische Soldaten und 80 000 irakische Zivilisten.
Krieg scheint wieder salonfähig, scheint wieder normal zu sein. Wir werden Stück für Stück wieder daran gewöhnt.
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Bei der Abschlusskundgebung sprach eine deutsche Soldatin, die zur Zeit aus Afganisthan nach Hause strafversetzt ist. Sie kannte den Krieg aus der unmittelbaren Nähe und nahm kein Blatt vor den Mund. Kompliment!