Ost-West-Heimat – Unterm Strich – III.

Heimatlose

Ich bin fast gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
war, im Versteck,
bewegte sich
plötzlich hinter einem Brett
in einem Kasten neben dem Klosett
ohne Beinchen, stumm, fremd und nett
ein Meerschweinchen.

Sah mich bange an, sah mich lange an.
Sann wohl hin und sann her,
wagte sich dann heran
und fragte mich:

„Wo ist das Meer?“

Ringelnatz

Auch das gehört zu meiner Bilanz:

Ich, von Geburt und danach Jahrzehnte lang Wessi , bin heute im Osten dieser Republik zu Hause und ich bin es gerne.
Irgendwann in der Mitte meines Lebens habe ich mich entschlossen, aus meiner Heimat im Westen in den Osten überzusiedeln.
Das ist jetzt 15 Jahre her.

Irgendwie war das Leben für mich im Westen eintönig und langweilig geworden. Der Wechsel versprach Abenteuer, Pionierarbeit, versprach, dass man noch einmal so richtig durcheinander geschüttelt werden würde, sein Leben würde neu sortieren müssen.
Und mich reizte die Chance, an dem größten soziologischen Experiment unserer Tage selber und unmittelbar teilzunehmen. Ich hatte Sympathie für die Bürger der ehemaligen DDR, glaubte ihnen helfen zu müssen dabei, sich in die neue Gesellschaftsordnung einzuleben, ohne darin unterzugehen.

Es war alles ganz anders.
Die ersten zwei Jahre entsprachen zwar in Etwa meinen Erwartungen. Alles war neu, aufregend, spannend. Dann kam so etwas wie ein Katzenjammer. Man war in den anderen Teil Deutschlands gegangen und dort in einer unglaublichen Fremde angekommen. Es hat Jahre gedauert, dass dieses mich permanent bedrückende Gefühl, in der Fremde zu sein, mich verließ und ich einfach nur da war, wo ich war, ohne alles in Ost und West aufzuteilen.
Ich vermisste in den ersten 5 Jahren meine westliche Heimat, ich vermisste das Selbstbewusste der Menschen, die Offenheit, mit der ich gewohnt war, dass alles ausgesprochen wurde, ich vermisste zu meiner eigenen Verwunderung auch den Komfort, die Bequemlichkeiten, den Reichtum, den Luxus, den Konsum und ich habe mich danach gesehnt, ihn verachten zu können ohne ihn entbehren zu müssen.
Mit den Menschen hier wurde ich selten warm. Sie verschlossen sich für mich in unerwarteten Momenten oder schlossen mich aus. Ich war zu direkt und doch irgendwie auch nicht direkt genug.
Viele Kollegen aus dem Westen sah ich nach 4, 5 Jahren die Segel streichen und zurück in die westliche Heimat gehen. Wenn ich in den Ferien oder auf Dienstreisen durch den Westen kam, atmete ich tief auf und fühlte mich mit einem mal frei, entspannt und gelassen, fand keineswegs alles gut und schön hier im Westen, konnte mich jedoch wieder sorgenfrei über so vieles mokieren oder aufregen, war einfach zu Hause.
Meine Illusion, dass mich hier im Osten irgendwer brauchen würde, war zerplatzt. Mir als Wessi schlugen vor allem Misstrauen und Vorbehalte entgegen. Ich machte eine Phase durch, wo ich mich innerlich ununterbrochen empörte über die Ossis, ihre langsame, gleichgültige Art z.B. bei der Bedienung in Geschäften, ihr vermeintliches Ungeschick, wenn es darum ging, etwas schön, angenehm, ansehnlich zu gestalten. Das Grau der Häuser, die Depressionen zerfallener Fabrikanlagen zogen mich runter. Vor allem eines aber machte mich wütend und empörte mich: die, wie mir schien, unglaublich naive Bereitschaft der Menschen, sich in unser kapitalistisches Gesellschaftssystem zu finden und sich ihm ganz und gar widerstandslos zu unterwerfen.

 

 

 

Und dann haben wir uns allmählich doch an einander gewöhnt.
Eine Urlaubsfahrt nach Neubrandenburg brachte den Durchbruch: Lange fragte ich mich, warum mir in Mecklenburg alles so heimatlich vorkam, obwohl damals in Mecklenburg noch vieles an die alte DDR erinnerte und es eigentlich nichts gab, was mir hätte bekannt vorkommen können. Bis ich begriff was es war: die Ebene, der Horizont, die Sprache, der Menschenschlag. Und ich entdeckte, dass es eben nicht nur Ost-West-Unterschiede gibt sondern ebenso Nord-Süd Unterschiede, die vielleicht für eine geborene Westfälin manchmal noch viel wichtiger sind. Ich versöhnte mich mit dem Osten weil er auch einen Norden hat.

Der Osten wurde so allmählich doch irgendwie ein Teil von mir.

 

wasche.jpg

m.s.

 

Wenn ich im Westen war, fehlte mir nun auf einmal ein Teil meines Lebens. Und dass im Westen niemand die neuen Bundesländer auch nur zur Kenntnis nahm, entfremdete mir die alte Heimat zusehends. Sie kamen mir nun hier alle blind, arrogant und ahnungslos vor und vor allem selbstgerecht.

Für den endgültigen  Umschwung war schließlich die Idee eines Kollegen verantwortlich, der mir in meiner Heimatlosigkeit eines Tages riet, in eine möglichst nahe Weststadt zu ziehen und nach Jena zu pendeln. Er macht das seit 15 Jahren: Jena – Bremen – Jena – Bremen …. Und es geht ihm dabei gut.
Ich ging die infrage kommenden westdeutschen Großstädte durch, die nicht mehr als 200 km entfernt waren: Nürnberg, Kassel? Und dann kam mir die entscheidende Idee: Berlin. In Berlin hatte ich den Westen und den Osten in einem und konnte meine West- und Ostsehnsüchte an einem Ort befriedigen. Ich entdeckte Berlin für mich und fühle mich da pudelwohl.
Immer mehr lernte ich dann auch den Nordosten der Neuen Bundesländer kennen und schätzen: hier spricht man wie in dem Land meiner Kindheit, hier ist der Horizont weit und die Welt flach und ohne Grenzen und hier habe ich so vieles lieben gelernt: die Brandenburger Seen, das Tal der Oder, Berlin, Potsdam, Rostock….
Ich genieße es, beide Seiten zu verstehen und wenn sich Ost- und Westdeutsche darüber streiten, ob denn nun die Nord- oder die Ostsee schöner sei, lächele ich in mich hinein und denke, dass ich beide Geheimnisse kenne und genießen kann.

Wenn ich heute alle 14 Tage nach meinem Wochenendaufenthalt in meinem neuen Zuhause Brandenburg wieder von der Autobahn zurück ins Thüringische Saaletal einbiege, bin ich  entzückt von dieser Gegend und dieser kleinen Großstadt – im Wissen, hier nicht alt werden zu müssen.

Ich bin also geblieben, zwar in Thüringen nie wirklich warm geworden aber doch inzwischen in Brandenburg  heimisch. Vielleicht bin ich jetzt eine Ossi geworden. Ich scheue im Westen heute wie ein Ossi den ganz großen Lärm, das ganz große Gedränge, die Show, die Schaumschlägerei.

Meine Freunde sind zwar fast alle nach wie vor Wessis. Inzwischen habe ich aber auch gute Bekannte im Osten und lebe sogar mit einem Ossi zusammen. Manchmal stimmt es mich traurig, dass ich mit meiner westlichen Sozialisation alleine bin in unserer Beziehung, dass meine Nostalgie ganz andere Töne anschlägt als seine.
Und wenn ich in ein Gespräch gerate, im dem sich ausschließlich Ossis über frühere Zeiten austauschen, fange ich immer noch an, mich einsam zu fühlen.

Dennoch, ich möchte nicht zurück. Es käme mir vor, als wollte ich weiterleben und dabei die Augen verschließen, oder als würde ich mir selber einen Arm abhacken.
Und allmählich versanden die Gräben. Die jungen Menschen sind nur mehr schwer als Ossis oder Wessis zu identifizieren. Wenn ich mich als Wessi oute, sehe ich immer seltener jenes leise “Aha” in den Augen der anderen, bei dem die Türen zuschlagen. Die Situation bleibt jetzt offen. Die Menschen um mich haben an Selbstbewusstsein zugelegt. Das bringt mich ins Gleichgewicht mit ihnen.

Und nun besiegelt mein Ossi-Schicksal auch noch der schnöde Mammon: Ich habe immer lautstark Solidarität mit den Menschen im Osten bekundet, die deutlich weniger Geld für ihre Arbeit kriegen, obwohl der Lebensstandard hier nicht anders ist und die Lebenshaltungskosten sich längst nichts mehr tun. Aber ich hatte auch gut lachen: Ich wurde hier immer als Wessi bezahlt. Dieses Privileg habe ich 15 Jahre lang in Anspruch genommen. Und  jetzt stellt sich heraus, meine Rente wird eine Ost-Rente sein.
Hoppla, sowas verbindet uns dann erst richtig!

.

 

Dieser Beitrag wurde unter Leute & Geschichten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert