Frauen-Emanzipation, Schnee von gestern? – Unterm Strich -V.

Schneewittchen
Schneewittchen, zerschlag
deinen gläsernen Sarg,
wie liegst du denn da, blass und kalt.
Würg schnell den vergifteten Apfel heraus,
stoß den Sargdeckel auf mit Gewalt.

Drum zerschlag deinen Sarg nicht
so zart, du bist stark,
und der lange Schlaf ist nun vorbei,
und der lange Schlaf ist nun vorbei.

Auf den Prinz warte nicht,
der den Zauber durchbricht,
sieh zu, dass du fort bist, eh er küsst.
Steig nicht auf sein Ross,
folg ihm nicht auf sein Schloss,
wo du wieder eingeschlossen bist.

 

Gruppe Schneewittchen

 

 

 

 

Als kleines Mädchen habe ich Bücher gelesen, in denen Jungen Abenteuer bestanden. Alles, was mich in der Welt interessierte und reizte, schien den Männern zu gehören.

 

 

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Alle meine Helden waren Männer. Und ich wusste dabei sehr genau, dass ich ein Mädchen war. Ein Junge wollte ich nie sein. Aber ich beschloss, all diese Schätze und Chancen den Männern abzujagen, ihnen die Zähne zu zeigen, ihre Privilegien zu brechen, ihnen ihre Selbstverständlichkeit, mit der sie den Begriff Mensch und Mann gleichsetzten, um die Ohren zu schlagen.
Wenn mir in meiner Jugend jemand weiß machen wollte, dass Mädchen doch ganz andere, ganz besondere Qualitäten hätten und es deshalb dumm sei, alles zu wollen, was den Männern vorbehalten ist, wurde ich böse. “Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad”, stand bei Anja Meulenbelt und ich liebte diesen Spruch. Ich sehe noch das hilflose Gesicht meines Vaters, als ich ihm diesen Spruch entgegen schleuderte. Er konnte es kaum fassen. In seinen Augen stellte ich offenbar damit die Weltordnung auf den Kopf.

Ich bin weder eine geschlagene noch eine unterdrückte Frau, ich konnte mich selbst verwirklichen und mein eigenes Leben leben. Dennoch war für mich die Frauenbewegung jahrelang die wichtigste und intensivste Bewegung und ich fühlte mich ihr mit einer Intensität zugehörig, wie beinah keiner anderen.
Und auch heute, wo vieles zugegebener Maßen anders geworden ist, wo man fast meinen könnte, dass all meine Mädchenforderungen an unsere Welt erfüllt seinen, auch heute bin ich ab und zu noch immer eine glühende Feministin.

In meinem Psychologiestudium gab es genau so viele Männer wie Frauen. Ich musste mich nicht wirklich mühevoll durchsetzen. Das eigentlich angestrebte Physikstudium hatte ich mir allerdings aus dem Kopf geschlagen, weil ich es mir nicht zutraute, alleine unter lauter Männern zu studieren.
Die Männer, mit denen ich im Laufe meines Lebens befreundet war oder mit denen ich eine Liebesbeziehung eingegangen bin, waren alle Frauen freundlich und keiner hat mich je unterdrückt. Die anderen mieden mich wohl. Schade vielleicht! Eigentlich hätte ich an so einem gerne mal meine Krallen gewetzt.
Ich verdiente später in zwei Ehen das Geld. Ich habe Karriere gemacht und meinem Mann die drei Kinder zu Hause überlassen.

Aber ich habe mich trotzdem immer unterdrückt, zurückgestellt, nicht ernst genug genommen gefühlt als Frau. Es steckte so etwas wie eine Grundverletzung und ein Grundmisstrauen in mir drin. Es war, als könnte ich mich nicht wirklich ernst nehmen, weil ich wusste, dass viele Männer Frauen nach wie vor als Menschen 2. Klasse sahen. Ich wurde im Laufe meiner Frauen bewegten Zeit hoch sensibel für die kleinen Sexismen, die Chauvinismen, die virtuellen Ellenbogen, mit denen sie uns weg schoben und weg schieben, die unverschämte Selbstherrlichkeit, mit der sie im Seminar ihren Unsinn verbreiteten, während die Frauen meist schüchtern oder unsicher schwiegen. Und das ist auch heute so in meinen Seminaren und es ärgert mich stets.

 

 

Die Frauenbewegung erreichte mich eigentlich erst richtig Ende der 70er, Anfang der 80ger Jahre. In der linken Bewegung hatte ich sie vermisst, da war sie immer an den Rand geschoben worden. Der Bericht über ein neues Waschkombinats in einer DDR-Stadt, erlauscht im DDR-Radio in einem Urlaub an der grünen Grenze, empörte mich zutiefst: “Vor allem unseren Genossinnen wird das Kombinat das Leben sehr erleichtern”, sagte der Reporter ohne mit der Wimper zu zucken.  Das hat meiner Sympathie für die DDR damals einen herben Schlag versetzt.

Die Emanzipationsbewegung war für mich die zweite, persönlichere Befreiung nach den 68er Jahren. Auch sie machte mich vor allem lebendig, selbstbewusst und kämpferisch. Und das Solidaritätsgefühl unter Frauen habe ich als wohltuend, als tröstend erlebt. In unseren Gemeinschaften blieben sehr oft auch auf lange Strecken Konkurrenzdruck und heimliche Kämpfe um Posten und Wichtigkeit aus. Im Grunde war die Emanzipationsbewegung für mich eine längst ersehnte Gelegenheit, mich innerlich wirklich nicht nur gleichberechtigt und gleich wichtig zu fühlen, sondern mich auch endlich so verhalten zu können.
„Unter dem Pflaster, ja da liegt der Strand, komm reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand”, dieses und die anderen Lieder der Gruppe Schneewittchen sprachen mir aus der Seele. Wir Frauen stellten die männliche Welt als die richtige und beste und nachahmenswerte in Frage. Wir wurden uns unserer eigenen Stärken bewusst. Nach dem Ablegen der Unterdrückung durch eine autoritäre Gesellschaft war es nun an der Zeit, die Unterdrückung abzulegen die die Gesellschaft, die Männer und wir selber uns antaten. Jetzt war es uns nicht mehr genug, als Frau mitmachen zu dürfen. Jetzt konnten wir selber aktiv sein, nicht nur abgeleitete Macht, Stärke und Kompetenz beweisen, sondern eigene entwickeln, eigene Stärke und Macht, die vielleicht auch gar nicht immer so aus sahen, wie die der Männer. Das war der entscheidende Gedanke, dass nicht das Gleichziehen mit dem Mann uns genau so zu Menschen 1. Klasse machte, sondern dass wir diesen gleichen Wert als Frauen schon in uns trugen.

 

Unter dem Pflaster liegt der Strand
Komm, lass dich nicht erweichen,
bleib hart an deinem Kern,
rutsch nicht in ihre Weichen,
treib dich nicht selbst dir fern.

Unter dem Pflaster,
ja da liegt der Strand,
komm reiß auch du
ein paar Steine aus dem Sand.

Komm lass dir nicht erzählen,
was du zu lassen hast.
Du kannst doch selber wählen,
nur langsam, keine Hast.

Zieh‘ die Schuhe aus,
die schon so lang dich drücken.

Lieber barfuß lauf,

aber nicht auf ihren Krücken.

Gruppe Schneewittchen

 

 

Auch diese Bewegung differenzierte sich nach einiger Zeit aus.
Eine Menge Frauen fanden Gefallen daran, auf die Welt der Männer ganz zu verzichten, weil sie als Frauen eine ganz andere Welt für sich erobern könnten. Mit der “neuen Mütterlichkeit” z.B. bewegte sich aus meiner Sicht ein Teil unserer Frauen auf einem Umweg zurück an den Ausgang unseres Marsches. Sie fühlten sich gleich wertvoll wie die Männer, vielleicht sogar wertvoller, aber eben anders – und nicht interessiert daran, mit den Männern die Macht zu teilen. Sie besannen sich auf ihre geheimen und besonderen Kräfte als Frauen, schlossen Männer aus ihren Kreisen aus, machten aus der Weiblichkeit einen Mythos. Und landeten da, wo man mich schon als kleines Mädchen hatte hinkriegen wollen, bei den besonderen und von den Männern angeblich so hoch geachteten Werten und Eigenschaften – und Aufgaben – der Weiblichkeit, und bei der Bereitschaft, den harten und schnöden Kampf in der Welt doch lieber den Männern zu überlassen.
Der  andere Teil unserer Bewegung kämpfte sich tapfer hoch, durch die Reihen der Männer, an den Männern vorbei. Und wir wurden durchaus keine Blaustrümpfe dabei. Es krachte in den Balken der Gesellschaft:
Heute haben Frauen Positionen erobert, heute machen sie sehr viel mehr ihren Mund auf, sie verdienen ihr Geld selber, sie pochen auf ihre Gleichberechtigung, sie erlernen sogenannte männliche Berufe und manchmal bleibt sogar ein Vater nach der Geburt des Kindes zu Hause.

 

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Ich will das nicht bestreiten und schmälern, obwohl dieser Prozess natürlich noch nicht abgeschlossen ist: noch heute sind die meisten Schulleiter Männer, noch heute werden Kliniken meistens von Männern geleitet, noch heute verdienen Frauen für gleiche Arbeit oft weniger, noch heute reden in allen Seminaren und in allen Gesprächsrunden Männer mehr und länger als Frauen, noch heute stürzen Männer ihre älter gewordenen Frauen in Lebenskrisen, weil sie meinen, sich mit 50 eine viel jüngere Frau leisten zu können. Und es werden auch heute noch immer Frauen geschlagen, bedroht, für dumm verkauft, sexuell belästigt und angemacht, – von den Männer, mit denen sie es zu tun haben und auch von unserer Gesellschaft selber, die insgeheim natürlich immer noch eine patriarchialische Gesellschaft ist. ….

Einer dritten Variante von Frauenemanzipation bin ich hier in den Neuen Bundesländern begegnet: Dadurch, dass die sozialistische Gesellschaft die Frauen als Werktätige achtete und einplante, ist hier noch immer sehr oft für Frauen klar, dass sie ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität vor allem auch durch Arbeit erlangen. Gleichzeitig ist dieses weibliche Selbstverständnis ein abgeleitetes: die Frau erhielt ihren Wert, weil sie in der Gesellschaft an dem Teil des Lebens partizipierte, der traditionell den Männern vorbehalten war. Die Familie, der Haushalt, die Kinder, das war dennoch mehr oder weniger allein ihr Ding. Doppel- und Dreifachbelastungen wurden als normal hingenommen. Ein eigenes, auch gegen die Tradition der patriarchalischen Männergesellschaft (auch im Sozialismus) gerichtetes neues Selbstbewusstsein von Frauen fand ich kaum vor. Der Streit um die weibliche Endung z.B. bei Berufen wurde hier als lächerlich abgetan.  Die Frauen waren stolz darauf Baggerführer oder Lehrer zu sein.

Heute hat sich auch hier ein anderes weibliches Selbstbewusstsein in Grundzügen durchgesetzt. Und die alte gewohnte Selbstverständlichkeit, auch Arbeit und Beruf für sich haben zu wollen, ist noch immer ausgeprägter als im Westen. Und so mache ich mir um die Frage der Frauen zur Zeit weitaus weniger Sorgen als um die Frage der Menschenwürde, Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und in der Welt.

Und dennoch: Nicht nur, weil die Geschlechtergleichberechtigung noch nicht überall und bei allen gegriffen hat, finde ich mich manchmal geradezu leidenschaftlich auf der Seite von Frauen. Es ist einfach das warme Gefühl der Solidarität unter Schwestern, das mich grundsätzlich parteilich auf ihre Seite stellt.
Den Männern bieten wir  Kooperation an, aber nicht Solidarität. Und mitunter lieben wir sie.

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