Die Kinder sind wieder fort – Unterm Strich – VII.

 

 

Gedanken an die Tochter
Die Jahre, die ich ganz in deiner Nähe war,
sind längst Vergangenheit.
Die Zeiten, wo ich hätte
meine Tochter trösten können,
sie sind vorbei und sind vielleicht vertan.
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Mir bleibt es nur, zu wünschen und zu hoffen,
dass dir das Leben nicht nur Wunden schlägt
und irgendwann die Liebe dir begegnet und auch bleibt
und zart und so, wie Mütter und Geliebte es nur können
mit sanfter Hand die Tränen dir von deinen Wangen streift.

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Mechthild Seithe

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Mit sechzehn hatte ich beschlossen, keine Kinder zu kriegen. Mit 30 fing ich an, mich nach einer eigenen Familie zu sehnen. Ich hatte den Wunsch, Kindern diese Welt zu zeigen, die Schönheiten und all das, weshalb es sich lohnt, zu leben. Ich hatte die Vorstellung, sie schützen zu können vor dem, was diese Welt an Hässlichkeiten und Brutalitäten zu bieten hat. Zumindest traute ich mir zu, sie widerstandsfähig und stark zu machen.


Viele Jahre meines Lebens war dann Familienzeit. Das Kinderhaben dominierte mein Denken und die Zeit, die mir neben der Arbeit blieb. Es gab viele wunderbare Erfahrungen und Momente in dieser Zeit. Unsere Fotoalben sind voll mit Bildern der drei Kinder.
Neulich habe ich zur Vorbereitung meines 60. Geburtstages Fotos von mir gesucht und festgestellt, dass in all diesen dicken bunten Alben fast keine Bilder von mir sind.

Die Phase meines Lebens, die ich vor allem Mutter sein sollte, habe ich genossen. Sie hat aber auch an meinen Kräften gezehrt.
Die gesellschaftliche Anerkennung, die ich plötzlich abbekam, seit und weil ich nun auch Mutter war, hat mich irritiert. Ich hatte nie das Gefühl, nun endlich ein Ziel erreicht zu haben, eine Erfüllung zu erleben, die mir gefehlt hatte. Ich identifizierte mich weiterhin mit Frauen, die als Frauen und nicht als Mütter ihr Leben meisterten.
Für mich hat das Kinderkriegen nie notwendig zum Leben gehört oder gar zu einem erfüllten Frauenleben.

 

Dennoch habe ich also drei Kinder bekommen und sie inzwischen auch groß gekriegt. Die Ältesten sehe und spreche in großen Abständen, weiß ein wenig von ihrem Leben, aber das Wichtigste weiß ich wahrscheinlich nicht.
Die Jüngste wird im Herbst anfangen zu studieren. Im Vorfeld braucht sie mich noch sehr. Das Große, Neue vor ihr, macht ihr noch ein wenig Angst, sie möchte wie ein Kind gestützt und getröstet werden. Aber ich denke – und hoffe – dass ihr neues Leben sie mitreißen und auch von mir und meinem Rockzipfel fortreißen wird.

Dann wird es auch für sie gelten: Ich bin für meine Kinder nicht mehr alltäglich nötig und auch nicht mehr wirklich wichtig für ihr Alltagsleben (vielleicht noch wichtig im Hintergrund, das schon) und ich bin darüber – ehrlich gesagt – eher erleichtert.
Als ich 43 war und an einer scheußlichen Migräne litt, tröstete mich eine Ärztin mit der Vermutung, dass diese Migräne aus meinem Leben wieder verschwinden könnte, wenn meine Kinder älter sein würden.
So war es. Weit über 24 Jahre lang war mein Leben von den Kindern bestimmt, beeinträchtigt, natürlich auch beglückt, erfüllt…. Als es nun vorbei ging, fand ich wieder zu mir.

Natürlich mache ich mir auch heute Sorgen um sie, bin bedrückt, wenn es ihnen nicht gut geht, freue mich, wenn sie vorbeikommen oder anrufen, wenn ich sie sehe.
Wenn sie mich brauchen, stehe ich auf der Matte, natürlich. Ich bleibe ja ihre Mutter und stehe auch dazu. Und ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, dass ihr Leben erfüllt sein möge.

Aber auch in meinem Leben spielen sie nicht mehr die Hauptrolle. Ich bin längst wieder nicht mehr nur Mutter sondern eine Frau mit einem eigenen Leben.

Irgendwo in mir steckt die Sehnsucht nach einer anderen Beziehung zu meinen Kindern, einer eher freundschaftlichen, einer, die nicht nur auf der Mutter-Kind-Beziehung basiert sondern darauf, dass wir uns gegenseitig wirklich sympatisch sind und uns was zu sagen haben. Vielleicht gibt es sowas. Vielleicht ist das eine Illusion und all die vielen Familienzusammengehörigkeitseuphorien um mich herum beruhen eben doch nur darauf, das Blut dicker ist als Wasser.

Natürlich liebe ich meine Kinder. Aber ich stelle fest, dass sie wenig mit mir wirklich teilen.. Sie wissen nicht, was mich bewegt. Und wenn ich es ihnen versuche zu sagen, hören sie weg, so wie sie immer weghörten, wenn Mutter was erzählte. In unserer Verbindung war alles darauf ausgerichtet, dass es ihnen gut ging, nicht mir. Ich spüre nicht, dass sie wirklich Interesse an dem Menschen haben, der ich heute bin, an meiner Arbeit, meinen Gedanken, meinen Befürchtungen, an meinem Glück. Wenn sie sagen, dass sie mich lieben, so gilt das der Mutter, die ich für sie war und irgendwo im Hintergrund immer sein werde. Nicht aber mir als Mensch. Für sie bin ich nichts als ihre Mutter. Ihre Mutter und ich, dass ist nicht ganz und gar die selbe Person.
Ich nehme es ihnen nicht übel. Dennoch macht es mich traurig.

 

 

Ich bin in meinem Beruf tagtäglich mit jungen Menschen zusammen. Inzwischen sind meine StudentInnen durchweg im Alter meiner Kinder. Und ich lerne hier junge Menschen kennen, die ich interessant, sympatisch finde, von denen ich mir wünschen würde, dass sie mir vertrauter wären, mit denen ich gerne befreundet sein würde.
Natürlich bin ich Mutter meiner Kinder und würde immer zu ihnen stehen, für sie da sein, wenn sie mich brauchen, aber ob ich wirklich mit ihnen befreundet sein möchte, ich weiß es nicht.
Sicher wären Sie traurig oder eifersüchtig, wenn sie das wüssten.

 

Vielleicht habe ich da was falsch gemacht. Mag sein. Aber es ist nun so wie es ist und ich bin nicht mehr nur das Muttertier und auch nicht das Korn, dass sterben muss, damit das junge Pflänzchen aufgehen kann, ich bin wieder ich.

Enkel habe ich keine, sind auch keine in Sicht. Ich weiß, dass sich dadurch manches ändern kann und könnte. Ich kenne so viele Menschen in meinem Alter, die durch das Erleben des Heranwachsens der nächsten Generation eine Erfüllung in ihrem Leben finden. Ich vermisse es nicht. Wenn es so käme, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde.

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