Mein Körper, das bin ich – Unterm Strich – XI.

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Nachtanbruch

Aus dem Kronen der Eichen
senkt sich die

Dunkelheit
über das Land,
sanft und lautlos
und unerbittlich.

In den Zweigen erstirbt
der klagende Laut eines Vogels.
Mein Herz flattert
ein wenig.

Dennoch,
wenn der letzte helle Streifen
im Westen erloschen ist,
hat es
bereits Ja gesagt
zur Dunkelheit.

M. Seithe

 

 

 

 

 

 

Als ich klein war, wollte ich entweder ein Engel ohne Körper oder aber eine Pflanze ohne Seele sein. Die Kombination von Körper und Geist erschien mir schon damals als Zumutung.
Es gab Zeiten, wo ich ihn fast vergessen habe, meinen Körper, wo ich ihn behandelt habe wie einen alten Sack, der mich umhüllt, der aber nichts mit der Person zu tun hat, die ich bin.

Eins mit meinem Körper war ich nur in Zeiten, in denen ich diesen Körper gebraucht habe als Quell von Freude und Lust: beim Wandern, wenn ich rechtschaffen müde war, wenn ich mich meiner Augen, meiner Ohren freuen konnte, wenn ich mit meinen Fingern etwas ertasten durfte, das mich lächeln machte: Das Fell eines Teddybären, ein Stück Moos, die Wange eines Kindes, das Haar des Geliebten… Und auch in den Zeiten, in denen meine sexuelle Lust für mich selbstverständlich war wie das Trinken und das Atmen. Aber das war nicht immer in meinem Leben so.

Ich denke heute, dass mein Schwanken im Bezug auf Sexualität auch etwas mit der geringen Beachtung und Wertschätzung meines Körpers zu tun hatte. Ich habe ihn nicht geliebt, er war mehr selbstverständliche Beigabe, mehr Last als Lust. Nicht nur, dass ich mich nie besonders schön gefunden hätte. Ich habe mich nicht mit meinem Körper identifiziert. Ich, das waren meine Gefühle, meine Gedanken, meine Pläne… aber mein Körper?

 

Und nun, da ich alt werde, stelle ich fest, dass dieser Körper es vor allem ist, der alt wird und mich mitzieht in das Schwachwerden und Vergehen. Körperliche Leiden stellen sich mir und meinen Plänen immer öfter in den Weg. Und alles an mir verliert die Kraft, die Straffheit, die Glätte, die Spannkraft. Ich muss meinem Körper folgen und ich begreife langsam, dass ich es bin, der da leidet und schwach geworden ist. Denn wenn er aufgibt, werde ich sterben.
Wenn ich einen neuen Personalausweis beantrage und gefragt werde: “172 cm groß, stimmt das?”, dann nicke ich, weil das immr meine Größe war. Und ich denke erboßt, dass ich – heute gemessen – nur mehr 169 cm groß bin. Die Bandscheiben verabschieden sich.

Ich beginne allmählich zu bedauern, dass ich mich meines Körpers nicht mehr gefreut habe, als ich noch jung war, dass ich ihn nicht mehr geliebt, geachtet, gepflegt und wertgeschätzt habe: meine Beine, meine Füße, meine Arme, meinen Leib, meinen Schoß, meine Brust, meinen Hals und mein Gesicht. Wenn ich es genau überlege sind meine Hände die einzigen Teile meines Körpers, zu denen ich eine liebevolle Beziehung habe.

Wenn ich meine Hündin betrachte, so kann ich sie ohne ihren Körper gar nicht denken. Und sie ist ganz und gar eins mit ihm. Wie kommt man bloß als Mensch auf so absurde Gedanken, dass man sich meint über seinen Körper erheben zu können?
Diejenigen, die ihn mit viel Aufwand und Mitteln versuchen, ewig jung zu halten, haben seine Bedeutung offenbar besser erkannt, aber sie haben ihn in seiner Wirklichkeit genauso wenig angenommen. Sie versuchen ihn aus zu trixen, seine Natur zu leugnen.

Den Alterungsprozess annehmen können, das wäre es. Damit habe ich noch immer zu kämpfen. Wohl komme ich mühsam den Entwicklungen hinterher, aber sie sind leider schneller als meine Bemühungen und Einsichten.
Aber ich kann es schon hören, ganz leise,
mein Herz sagt ja.

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Eine Antwort zu Mein Körper, das bin ich – Unterm Strich – XI.

  1. Onno sagt:

    Eins sein, das ist nicht immer einfach.
    Nie vergessen werde ich einen alten Freund, Geigenbaumeister, der so sehr froh über die körperlich beginnende Gebrechlichkeit war. Mein Erstaunen kommentierete er mit dem Hinweis, daß er „nun endlich“ all das beginnen könnte, für das ihm zeitlebens die große körperliche Kraft im Wege stand…

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