Abendstille
Wir fahren in einem Boot in den Abend. Der Himmel ist
voller Schäfchenwolken. Der Fluss fließt glatt und glänzt.
Du bist bei mir. Du summst ein Lied.
Die Mühen des Tages weichen aus unseren Zügen.
Wir lehnen uns an einander und wissen,
dass nie zuvor wir uns so nah gewesen sind.
Irgendwann, morgen oder in ein paar Tagen
hat unser Boot die Stromschnelle erreicht,
in die wir hinabstürzen werden.
Was sollen wir tun?
Rücke noch näher. Halte mich fest.
Schau, die Abendsonne, die dein Antlitz beleuchtet,
macht dich jung. Die Bäume und Sträucher am Ufer
sind grün und spiegeln sich flimmernd im Wasser.
Lege deine Hand an mein Gesicht und fühle meine Haut.
Ich bin bei dir. Wir treiben gemeinsam dem Abgrund zu.
Aber bis dahin lächelt die späte Sonne noch eine ganze Weile
und vielleicht auch noch der kühle Mond
über unserem freundlichen Boot,
das unaufhaltsam mit dem Fluss dahin treibt.
Es war nie anders.
Mechthild Seithe
Mancher, der meine Gedanken lesen wird, wird einfach nur denken: sie ist alt, sie ist alt geworden und versucht damit klar zu kommen. Das ist alles.
Mag sein.
Und es liest sich zugegebener Maßen vielleicht auch sehr glatt, zu glatt. So, als könne man nun, nachdem all das geklärt ist, ewig so weiter leben.
Das ist nicht so.
Heute bin ich stolz darauf, dass ich mir nichts mehr daraus mache, dass ich nicht mehr zu denen gehöre, die die Welt im Griff haben, die sich auskennen, die mitspielen können. Heute bin ich froh, dass ich es akzeptieren kann, dass meine Haut Falten bekommt und Runzeln und dass ich nicht mehr so flott die Treppen steigen kann wie meine jüngeren KollegInnen.‘
Und morgen wäre ich dankbar, wenn ich noch so jung sein dürfte, wie ich es heute bin.
Morgen bin ich froh, wenn ich die Treppe überhaupt noch ohne Schmerzen hoch komme, wenn ich es schaffe, mich alleine um meinen Haushalt zu kümmern und für mich einzukaufen,…
Trotz all der entspannten Weisheit und der Freude darüber, dass die dummen und unnötigen Anstrengungen der Jugend und die mühsamen und immer auch irgendwie entfremdeten Mühen des Berufslebens nun bald hinter mir liegen, es geht nun einem schnellen oder allmählichen Ende zu.
Mein Vater wird 90 und sein Tag ist damit ausgefüllt, sich notdürftig zu versorgen und seine Schmerzen auszuhalten. Er hat genug, aber das Leben geht immer weiter und es macht wirklich beinah gar keinen Spaß mehr.
Ich sehe mich in 30 Jahren und weiß, dass ich nicht so viel Geduld, soviel Würde und soviel Tapferkeit aufbringen werde, wie er es heute tut.
Es müsste jemand da sein, der ihn umsorgt, der sich jeden Tag um ihn kümmert, der ihn die letzten Monate oder Jahre seines Lebens so weit entlastet, dass er noch ein bisschen Freude daran haben kann. Er lebt alleine. Seine Töchter leben 300, 600 Kilometer weit weg. Wir können es nicht. Wir schleppen uns durch die letzten Berufsjahre vor der Rente. Da kann man nicht nebenbei seinen alten Vater pflegen.
Ich denke, wie wird es bei mir sein? Bin ich dann auch alleine? Werde ich noch Freunde haben, die leben? Werde ich noch menschliche Nähe spüren? Werde ich in Würde die schwächsten Tage meines Lebens leben können?
Angst beschleicht mich, wenn ich sehe, wie mein Vater lebt, Angst, wenn ich an die gesellschaftlichen Alternativen und Möglichkeiten denke, die mir dann zur Verfügung stehen werden.
Noch bin ich nicht einmal in Rente. Noch denke ich: bald fängt das Leben an. Aber es wird nicht einfach sein und immer mühsamer, es wird vielleicht auch nicht mehr lange dauern oder aber ich schleppe mich noch mit 104 auf dieser Erde herum wie meine Urgroßtante.
Nie habe ich es wahr haben wollen: es endet klein, schwach, eingeschränkt, hilflos, dieses Leben. Ich habe mittelalterliche Darstellungen vom Kreis des Lebens gesehen. Am Ende ist der Mensch nur noch ein fast lächerlicher Schatten seiner selbst. Die Jugend wird dort gefeiert. Sie ist das Leben selber. Aber sie war niemals ewig. So wie angeblich heute.
Wir vergehen und die letzten Wege und Jahre werden wahrscheinlich schlecht für uns sein, sehr schlecht. Wer stirbt schon so, dass er es nicht merkt, beim Einschlafen, plötzlich? Ich wundere mich, dass es bisher alle geschafft haben, wirklich zu sterben. Meine Mutter hat sich sehr und sehr lange quälen müssen. So dass es wie eine Gnade erschien, dass ihr Herz dann auf einmal doch aufgab.
Haben wir das je in unseren Köpfen gehabt, dass es so ausgehen wird?
Natürlich wünscht man sich ein Ende in der Nähe eines geliebten Menschen, in vertrauter Umgebung. Man wünscht sich, dass man wirklich Abschied nehmen kann, von den Leuten, die man liebt, aber auch vom Leben, vom Wind, vom Licht, von der Musik…
Religiöse Menschen trösten sich vorher und vielleicht auch in diesen Momenten mit ihrem Glauben an das Jenseits. Ich sehe keine Veranlassung dazu und auch keinen Hinweis darauf, dass es so etwas irgendwie geben könnte. Ich würde es auch nicht wollen. Ich möchte sterben wie die Pflanzen und Tiere. Dem Gesetz der Natur folgend und mit ihm in Übereinstimmung. Auch der Gedanke einer Wiedergeburt war für mich von je her eher skuril und eher unangenehm.
Ich möchte sterben und sagen können: Das war mein Leben. Es ist irgendwann aufgetaucht und ich habe viele Jahrzehnte auf dieser Welt zugebracht, habe sie bewusst erlebt, die Natur und die Menschheit, so wie sie eben gerade waren zu meiner Zeit, und nun gehe ich wieder aus allem heraus und lasse es sich weiter drehen. Ich danke und es reicht. Es war gut und es war auch manchmal schlecht. Ich wünsche der Menschheit, dass sie irgendwie doch noch verhindert, dass sie sich so oder so selber zerstört. Ich wünsche, dass die, die mich vielleicht geliebt haben, noch ein Weilchen an mich zurückdenken werden.
Ich habe neulich etwas gehört vom Friedwald. Das wäre eine schöne Vorstellung und würde mir den Abschied erleichtern.
Aber vorerst gilt es zu leben, so lange es geht.
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Hallo meckie,
darauf bin ich gestoßen:
http://metzwerk.twoday.net/stories/5090720/