mein Antikriegstagebuch – mir platzt der Kragen

 geplatzter Kragen und die gelbe Schleife

Heute ist bei mir irgendein Fass übergelaufen:

im Radio interviewt ein Journalist eine Frau, die mit frisch fröhlicher Stimme von ihrer tollen Idee berichtet: Sie hat die gelbe Schleife als Patent angemeldet, als Symbol für die Solidarität mit unseren kämpfenden Truppen in Afghanistan.

Sie erinnert sich an die Zeit, als ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft kam und wie alleine er gewesen ist mit seinem Schicksal. Und dann die Zeit, als ihr Sohn Zeitsoldat war. Das hat sie beschäftigt. Und sie hat festgestellt, dass die Bevölkerung nicht wirklich hinter den Soldaten steht. Und dann fällt dieser Mutter so was ein: sie entwickelt die Idee der bekennenden Solidarität mit unseren kämpfenden Truppen. Statt sich zu fragen, wieso in Afghanistan Söhne und Töchter kämpfen müssen. – Und wollen. Mir wurde schlecht und regelrecht schwarz vor Augen. Da entwickelt sich mitten in unserer Gesellschaft eine neue Normalität des Militarismus. Die wartenden Frauen und klagenden Mütter finden alles in Ordnung. Aber sie  möchten mehr Anerkennung.

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Ich weiß nicht, ob die Soldaten in Afghanistan  mehrheitlich diesen Krieg wollen. Immerhin sind sie freiwillig dort. Aber die Bevölkerung in Deutschland will ihn offenbar neuerdings: Sie will leiden und über die Toten weinen, wie immer schon gelitten und geweint wurde über die Ofper und Helden von Kriegen und dabei endlich das Gefühl haben, wieder ein richtiges Volk zu sein, das natürlich (!) auch Kriege führt, führen muss. Schließlich muss die Sicherheit unseres Volkes durch diesen Krieg verteidigt werden. Hat gestern wieder mal die Kanzlerin gesagt. Und Landesmutter weiß, was für uns gut ist.  

Heute war die Trauerfeier für die drei getöteten (es wurde wahrhaftig jetzt gesagt „gefallenen“) Soldaten. Die Merkel war diesmal auch dabei. Und sie findet Worte dazu, die machen mich einfach sprachlos vor Schreck. Sie empfindet tiefste Trauer für die Angehörigen, sagt sie. (Warum lässt sie es denn zu, dass dieser sinnlose und unfaire Krieg geführt wird?) Und sie kann verstehen, dass mancher zu alledem „Krieg“ sagt. Und sie trägt mit uns allen das schwere Schicksal, dass wir diesen Krieg führen müssen. Seufz!

Bei der monatelangen Diskussion um die Tötung von Zivilisten im September bei dem von einem deutschen Offizier angeforderten Luftangriff ging ohnehin nur um die Frage: Wer hatte Informationen  und hat sie verschwiegen? Als die Nachricht vor Monaten zum ersten Mal im Radio kam, spürte ich noch ein gewisses Entsetzen in der Stimme des Sprechers, angesichts der Tatsache, dass inzwischen wieder deutsche Soldaten Zivilisten umbringen.
Dann wurde wochenlang getüftelt: waren es nun einige oder viele oder sogar sehr viele tote Zivilisten? Um die Sache selber ging es immer weniger, je länger darüber debakelt wurde. Immer mehr wurden Fragen und Entsetzen um diesen Akt von fahrlässiger Tötung verdrängt von dem Streit darum, wer was wusste und nicht gesagt hat. Als würde das, was geschehen ist, dadurch irgendwie besser. Es sieht so aus, als sei alles o.k., wenn nur erst die Verantwortlichkeiten geklärt und die Informationswege bereinigt wurden. Wenn klar ist, wer was eher gewusst, dann aber verschwiegen oder nicht verschwiegen hat, ist das ganze Problem vermutlich schon gegessen.

Und schließlich hat der Auftritt des verantwortlichen Militärs vor dem Bundesstag der deutschen staunenden Bevölkerung endlich wieder einmal gezeigt, was Ehre bedeuten kann und welche Tugenden unsere hohen Soldaten pflegen und hüten. Der Reporter stand hörbar vor Bewunderung innerlich stramm, als er davon berichtete.
Und dann kam schließlich unserer militärischster Zivilist, der Herr von und zu, und brachte die Erlösung für das gequälte und irritierte Volk: ‚Was da stattfindet, liebe Leute, das ist eben Krieg. Punkt.
„Jetzt bist du reif genug, liebes Volk, diese Wahrheit zu wissen. Erweise dich gefälligst würdig!“, so könnte man die Botschaften von Gutenberg und Merkel und all den anderen Gelben und Schwarzen ergänzen. „So ist eben der Krieg“.

 

Jetzt dürfen wir das Geschehen in Afghanistan also Krieg nennen.
Ich dachte in meiner Naivität vor wenigen Wochen noch, dass dieser Begriff die Leute alarmieren könnte, aufrütteln. Dass sie anfangen könnten, danach zu fragen, warum dieser Krieg überhaupt geführt werden muss, danach zu fragen, was wir da unten eigentlich zu suchen haben, daran zu zweifeln, dass dieses Mittel je ein Mittel sein kann, Demokratie und Frieden zu bringen.
Aber es ist ganz anders. Nein, es gab keinen Aufschrei in der Bevölkerung: „Was, einen Krieg sollen wir führen? Warum denn? Gegen wen denn?“, sondern eine gewisse Genugtuung darüber, dass wir nun endlich dazu gehören.
Man darf sich jetzt wirklich und endlich öffentlich Sorgen machen wegen des Krieges. (Natürlich nicht darum, ob dieser Krieg gerecht ist oder menschenrechtlich vertretbar.) Man macht sich vielmehr darüber Sorgen, ob unsere Jungs und Mädels dahinten auch richtig ausgestattet wurden. Ob sie die notwendige Unterstützung bekommen (siehe gelbe Schleife) und ob sie nicht doch schwere Panzer brauchen.
Die Bevölkerung ist, fürchte ich, froh, dass endlich beim Namen genannt wird, was schon lange so ist. Und damit ist sie dann vollauf zufrieden, etwa in diesen Sinn:

„Wir bauen also gar keinen Brunnen in Afghanistan. Na so was! Warum haben Sie uns das immer erzählt? Das war nun mal nicht in Ordnung. Wir sind das Volk und wir werden uns schon würdig erweisen, wenn man uns die Wahrheit sagt. Und außerdem: eigentlich ist das sogar eine frohe Botschaft: Wir sind also doch nicht die Weicheier und Drückeberger, als die wir uns selber immer versucht haben zu verstehen, wir kämpfen ganz normal und richtig und da gibt es eben nun mal Tote. Kollateralschaden. Die anderen haben schon viel mehr Tote zu verzeichnen. Da haben schon viel mehr ihr „junges Leben für ihr Vaterland gegeben“ (so ähnlich Merkel heute). Na, jetzt müssen wir uns also endlich nicht mehr verstecken. Jetzt werden wir auch dazu gehören.
Und wenn es wirklich Krieg ist, dann war das ja auch kein Verbrechen im September, dann ist das normal, dass eben auch Zivilisten sterben müssen. Das gehört dann dazu und wir müssen uns nicht mehr schämen und uns nichts vorwerfen.

Da verlangen doch wahrhaftig die Angehörigen der getöteten Zivilisten Schadensersatz von Deutschland. Das ist ein Witz. Im Krieg gibt es keinen Schadensersatz. Da herrschen andere Gesetze. Und die sollen mal ganz still sein. Wer verteidigt sie denn gegen ihre Talibans?
Dass sich die Generäle gegen den Panzervorschlag gewehrt haben, verwundert ein wenig. Sie wollen nicht wie Besatzer auftreten, sagen sie. Na ja, ist ja nett gemeint. Aber was anderes bleibt uns ja wohl nicht übrig. Sonst wird eben dort doch wieder die furchtbare Taliban alles besetzen. Und das wollen wir verhindern. Das ist sozusagen unsere Aufgabe als fortschrittlicher, moderner Staat, der einer humanistischen Philosophie verpflichtet ist. Alleine kriegen die die Demokratie doch nie hin. Da muss man schon ein wenig nachhelfen.

Manches sieht also  jetzt viel besser aus. Da wird  alles viel klarer.
Wenn z.B. unser neuer Entwicklungshilfeminister klarstellt, dass Entwicklungshilfe hier nur Hand in Hand mit den militärischen Operationen funktionieren kann, dann hat er Recht. Entweder wir wollen da was durchsetzen oder nicht. Was nutzt es, denen Schulen hinzustellen, wenn dann die Talibans diese Schulen übernehmen könnten?

Ich kann nicht länger solche Sachen in mich hineinfressen. Mir ist hiermit der Kragen geplatzt.

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Eine Antwort zu mein Antikriegstagebuch – mir platzt der Kragen

  1. kranich05 sagt:

    So ’ne Patentschleife hat was.
    Sind eigentlich schwarze Kreuze patentiert?

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