Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz (KJSG) – wen stärkt es wirklich?

Es ist wieder soweit:
Der Bundestag wird demnächst über das Nachfolgegesetz zum KJHG (SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz) entscheiden. Das hat nun den schönen Namen „Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz (KJSG)“. Wer die Entwicklung der Referentenentwürfe, der Diskussionen und Vorlagen aus den letzten Monaten verfolgt hat und sich vielleicht auch noch die Stellungnahme des Bundesrates angesehen hat, wird mir vielleicht zustimmen:
Als 2017 der damalige Referentenentwurf wegen des massiven Widerstandes der Fachverbände und Fachleute scheiterte, war abzusehen (und von der CDU bereits auf dem Jugendhilfetag in Düsseldorf angekündigt), dass in der nächsten Ligislaturperiode die angedachten Ziele unbeirrt weiterverfolgt werden.
Dies genau ist geschehen.

Und wie es aussieht, sind inzwischen die Verbände auch bereit, das neue Gesetz mitzutragen – und dass, obwohl der voher versprochene demokratische Diskussionsprozess mehr eine Farce war als Wirklichkeit.
Sie alle haben offenbar, wie Frau Conen es ausdrückt, ein kleines Tortenstückchen bekommen und sind so bereit, den Rest zu schlucken.

Aus dem guten alten soziapädagogisch orientierten Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz wird nun, wie zu erwarten war, ein neoliberales Gesetz,
– das viele Sparpotentiale bietet (nicht zuletzt in der ambulanten Jugendhilfe),
– dass die Rechte der Eltern einschränkt,
– dass die ambulante Hilfe nur noch in Ausnahmefällen und bei akuter Kindeswohlgefährdung ermöglicht,
– dass den Lebensweltansatz aufgegeben hat zugunsten einer pragmatischen und formal gehandhabten Sozialraumorientierung.
In diesen Punkten schließe ich mich der Einschätzung von Frau Conen an, die sie in einem Schreiben vom 17.2.2021 an ihren email-Verteiler geäußert hat:

Ich bin von verschiedenen KollegInnen gefragt worden, was ich zu einzelnen Punkten des vorliegenden Gesetzesentwurfs (GE) der Bundesregierung meine. Ich persönlich finde eine Reihe von Punkten im GE mindestens problematisch, aber sehe leider kaum oder wenig Einflussmöglichkeiten für „uns“, da sich die Verbände wohl darin einig sind, dass man dem Gesetz so zustimmen sollte – nach dem Motto: Besser dies als gar nichts.
Dieser Meinung bin ich nicht, da der GE eine massive Veränderung der Jugendhilfelandschaft mit sich bringen wird. Die darin enthaltene und derart interpretierte Sozialraumorientierung mit ihrer Abkehr von einer Lebensweltorientierung wird nicht nur mit einem erheblichen Abbau von individuellen Hilfen einhergehen, sondern auch mit deutlichen Qualitätsverlusten. Da der Bundesrat nicht einer Umschichtung der Notfallhilfen von § 20 in den § 28 (mit interessanter Begründung) zustimmt, ist zwar hier die offensichtlichste Aufweichung der Hilfen zur Erziehung vermutlich verhindert, jedoch gibt es viele andere Stellen im Gesetz, die zeigen, wie sehr es letztlich um die Schaffung von „Einsparpotentialen“ durch niedrigschwellige, sozialräumliche Angebote geht.
Bedenklich sind m. E. auch weiterhin Ideen davon, dass Hilfen zur Erziehung (§27) nur noch eingesetzt werden (sollen) bei Kindeswohlgefährdungen (m. E. sind diese nur  e i n  Grund für HzE). Darüber hinaus ist mir sehr sehr aufgefallen, dass in der gesamten 1. Lesung im Bundestag das Wort „Eltern“ kein einziges Mal gefallen ist. Dies ist mehr als ein Kontrastprogramm zu der 1. Lesung in 2017.
Sowohl in der GE-Begründung als auch im GE selbst werden zwar einerseits Eltern einige Partiziaptionsrechte eingeräumt, aber andererseits werden diese eingeschränkt wie z. B. in Formulierungen wie diese: …..“ Allerdings kann die Pflicht zur Beteiligung nur dann bestehen, wenn dadurch der Zweck des Hilfeplanes nicht in Frage gestellt wird.“ Und solche Einschränkungen finden sich mehrfach…. Eltern haben jedoch in diesem GE offensichtlich kaum eine wirkmächtige Lobby finden können. Die in der Studie des IKJ dargestellten Ergebnisse zur Befragung von Eltern ist m. E. ein Joke. 80 % der dort befragten Eltern sind Mittelschichtseltern (gehobenes Einkommenssegment), also keine Eltern, die im Allgemeinen einen hochbelasteten Alltag mit ihren Kindern meistern müssen (sondern vermutlich gestresste Pflegeeltern). Die Studie ist m. E. auch methodologisch kritisch zu betrachten.“

Aus einem Amt für Kindeswohl (wie es das KJHG verstand) wird nun ein Amt für Kindeswohlgefährdung, denn nur dieser Tatbestand führt zu Hilfeleistungen- aber ebenfalls zu massiver Kontrolle bis hin zu einer Mitteilungspflicht zwischen Jugendämtern Strafverfolgungsbehörden (s. § 60). Conen spricht davon, dass auf diese Weise drohe, dass der Gesetzentwurf „aus Jugendämtern quasi eine „Strafverfolgungsbehörde “ mache. Hierzu gibt es immerhin noch einigen Widerspruch. Allerdings muss man angesichts der Art, wie das Gesetz behandelt wird, davon ausgehen, dass der ungehört verhallen wird, denn im Großen und Ganzen ist man sich einig.

Mit dem neuen Gesetz passiert auf der Schiene der Inklusion zudem eine Verschiebung der Kinder- und Jugendhilfe in den medizinischen Bereich und damit eine Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit in diesem Handlungskontext . Außerdem wird die öffentliche Soziale Arbeit im Wesentlichen als Verwaltungshandeln gesehen, einschließlich einer massiven Vernetzung im öffentlichen Ordnungssystem.
Die Frage der Ökonomisierung, der Dokumentenflut, des Abbaus von Beziehungsarbeit sind gar nicht mehr Themen der Diskussion um das Gesetz. All das sind offenbar Realitäten, die ohne hin keiner mehr infrage stellt.

Junge Studentinnen fragen mich, ob mit dem neuen Gesetz die Kinder- und Jugendhilfe nicht jetzt endlich bessere Bedingungen bekommen wird. Ich frage mich, wer ihnen sowas erzählt.

In der Endphase des Kampfes zur Verhinderung einer „Reform“ des KJHG in den Jahren 2013 bis 2017 haben sich Mitglieder des damals recht aktiven „Bündnis Kinder- und Jugendhilfe. Für Professionalität und Parteilichkeit“ Gedanken gemacht, wie eine wirklich fortschrittliche und humanistische Kinder- und Jugendhilfe aussehen könnte.
Ich verlinke auf diesen Text, der in meinem alten Sozialarbeiter-Blog
zukunftswerkstatt.soziale.arbeit.de “ veröffentlicht ist, um einmal deutlich zu machen, welche Aufgaben und Perspektiven eine Jugendhilfe eigentlich haben könnte.
Vielleicht führt das bei dem einen oder anderen Leser zu der Erkenntnis, dass das neue Gesetz nichts anderes ist als eine Art „Kinder- und Jugendhilfe-Hartz IV-Gesetz. Mit schönen Worten beschreibt es seine edlen Absichten und bedient die alten, lebensweltorientierten, sozialpädagogischen Begriffe, aber was übrig bleibt ist Kontrolle, Hilfe nur da, wo es eigentlich zu spät ist und viel Lyrik.

P.S. Nichts gegen Lyrik übrigens:

Das neue Gesetz
Alle nicken dazu.
Wen stärkt es?
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