Frauen-Emanzipation – erledigt?

„Frauenemanzipation? Mama, das ist doch heute nicht mehr das Thema“, sagt meine Tochter.

Stimmt das? Mir fällt in der letzten Zeit schon auf, dass immerfort Namen von Frauen fallen, wenn es um die Leitung von Einrichtungen und Institutionen geht, vor allem im kulturellen aber auch in anderen Bereichen. Das ist neu.       

In den Medien bemühen sie sich um ein neues Frauenbild. In den Fernsehkrimis werden seit Jahren immer auch Polizistinnen gezeigt, oft auch als leitende Kommissarinnen. Hier wird sogar ihre andere, eben weibliche Leitungsfähigkeit hervorgehoben. Ich bin mir nicht sicher, ob das die Wirklichkeit in den Polizeiwachen widerspiegelt. Man hätte es gern. Gleichberechtigung zu demonstrieren ist eben in.

Aber sie ist auch bei uns immer noch mehr ein Wunsch als die Wirklichkeit. Der Bericht der Gleichstellungsstelle der Landeshauptstadt München von 2020 z.B. stellt fest:

Frauen verdienen auch heute noch deutlich weniger

„Frauen verdienten 2017 in Deutschland 20,8% weniger als Männer, in Bayern waren es sogar 25,0% und in München 25,8%. Hier wirkt sich aus, dass die Verdienste in München insgesamt höher als im Bundesdurchschnitt sind. Je höher das Qualifikationsniveau, desto höher der Gender Pay Gap. Beim Gender Pay Gap gehört Deutschland im europäischen Vergleich zu den Schlusslichtern. Nimmt man die sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in den Blick, befinden sich Frauen überproportional häufiger als Männer im Niedriglohnbereich. Umgekehrt: Je höher das Einkommen, desto weniger Frauen sind vertreten.“

Dass Frauen noch immer in Leitungspositionen unterrepräsentiert sind und in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine geringere Rolle spielen, wird sicher kaum jemand bestreiten. Aber zumindest in bestimmten Bildungsschichten hat sich hier schon einiges getan, sowohl, was das Selbstbewusstsein von Frauen betrifft, als auch, was das Bemühen der Gesellschaft betrifft, ihnen gleiche Chancen wie Männern zu geben.
Ich denke, es gibt trotzdem immer noch verdammt viel zu tun in Sachen Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit von Frauen und Männern.

Also was ist: Sind die Frauen gesellschaftlich wirklich gleichberechtigt? Manche vielleicht: die, die gute Jobs haben, eine bessere Bildung. Aber noch immer verdienen Frauen im Schnitt in Deutschland deutlich weniger als die Männer.
So mancher Mann protestiert übrigens inzwischen lautstark, dass jetzt er angesichts bestimmter Frauenfördermaßnahmen unterdrückt und zurückgestellt würde. Und da frage ich mich ehrlich gesagt, wieso Vertreter der bisher und über Jahrhunderte hinweg privilegierten Hälfte der Menschheit es wagen, sich zu echauffieren, wenn die andere Hälfte endlich und immer noch zaghaft genug versucht, ihre Rechte auf Gleichberechtigung einzuklagen? Das ist frech!

Die Sorgearbeit bleibt Frauenarbeit

Aber o.k. Frauen und Männer sind gleichberechtigt sein. Gleich sind sie allerdings nicht. Gleich ist vor allem auch nicht nicht, was die Natur von ihnen einfordert. Und das hat Folgen.
Wenn ich z.B. sehe, was eine schwierige Schwangerschaft für eine Frau bedeuten kann, möchte ich den zum Teufel wünschen, der den Frauen allein diese Aufgabe zugewiesen zu hat. Der Freund meiner Tochter fühlte sich vom Erleben der Schmerzen und Beschwerden seiner schwangeren Freundin überfordert und konnte am Anfang der Schwangerschaft überhaupt nicht begreifen, warum dieser Zustand sich ständig wiederholte. Jede anständige Krankheit ist doch auch irgendwann mal vorbei!

Meine Tochter und ihr Partner sehen erfreulicherweise der kleinen Tochter mit gleicher Freude entgegen und auch der Mann scheint voll von diesem zukünftigen Ereignis erfüllt. Als ich noch sehr jung war, so in den 60gern, da hat mich der Anblick eines einen Kinderwagen schiebenden Mannes vor Begeisterung vom Hocker gehauen. Das ist vorbei. Sowas ist heute eher selbstverständlich. Ich möchte sagen, in gebildeten Kreisen vermutlich am meisten…

Meine Tochter und ihr Partner planen natürlich eine partnerschaftliche Kinderbetreuung und -Erziehung. Sie werden sich die Aufgaben nach Möglichkeit teilen und der Freund ist auch voll bereit dazu. Das ist schon schön, zu sehen, wie selbstverständlich das heute gehandhabt wird. Sie wird nicht betteln müssen, dass er das Kind wickelt oder vom Kindergarten abholt oder mit ihr spielt, ihr den Brei gibt und das auch noch dann, wenn der erste Begeisterungstaumel bei ihm verflogen ist. So hoffe ich wenigstens. Aber er wird 8 Stunden am Tag arbeiten müssen. Er wird zwar die Vaterschaftsurlaubs-Zeiten in Anspruch nehmen, aber davor und danach?          
Und wie in alten Zeiten wird auch hier die Frau kürzere treten, nur halbtags oder gar nicht oder wenigstes in einem Job arbeiten, der sie nicht über die Maßen fordert, der aber auch nicht den Zugang zu einer beruflichen Karriere ebent.   
Gestern hörte ich im Fernsehen Ratschläge, wie ein Paar die Rentennachteile der Frau ausgleichen kann, wenn sie länger als bis zum vollendeten dritten Lebensjahr eines Kindes nicht wieder arbeitet. Der Mann kann dann von seinem Einkommen für sie Rentenbeiträge nachzahlen. Das bedeutet: Die Verwirklichung von Gleichberechtigung wird auch im finanziellen Bereich auf die Individuen verschoben. Warum fühlt sich hier der Staat nicht verantwortlich? Ist das Kinderkriegen nicht im Interesse der Gesellschaft? Warum fängt der Staat solche Ungerechtigkeiten nicht auf und überlässt die Lösung den Paaren bzw. schickt die Frauen in den sozialen Absturz. Noch immer hängt der Hauptteil der sorgenden Tätigkeiten in einer Familie an den Frauen. Und es gibt weitaus mehr alleinerziehende Frauen als Väter. Das Schicksal des Alleinerziehens korreliert sehr hoch mit Armut.

Frauen sind nicht bessere, sondern gleichwertige Menschen

Dass Frauen in ihren kognitiven und sozialen Fähigkeiten den Männern durchaus das Wasser reichen können, hat sich längst herumgesprochen. Eine Frau van der Leyen quasi an der Spitze Europas, eine ewig alles aussitzende Alt-Kanzlerin, höchste Posteninhaberinnen in der Weltwirtschaft, sie alle machen deutlich, dass Frauen auch solche Aufgaben sehr wohl meistern können. Dabei zeigt sich allerdings, dass sie in diesen Funktionen wenn es zum Beispiel um Kriegstreiberei und um Härte gegenüber verschuldeten Staaten geht, ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen.  Leider …. Aber es geht bei dem Kampf der Frauen um Gleichberechtigung ja nicht darum, dass Frauen etwa die „besseren Menschen“ wären. Es geht vielmehr darum, dass sie gleichwertige Menschen sind und auch so behandelt und gewürdigt werden wollen.         

Gewalt gegen Frauen

Die Frage nach der Gleichwertigkeit von Männern und Frauen bekommt eine gewisse Spannung durch die unveränderbare Tatsache, dass Frauen trotz kognitiver, sozialer und emotionaler Gleichwertigkeit rein körperlich in der Regel die Schwächeren sind. Sie sind gegenüber Männern körperlich die Unterlegenen und damit prinzipiell ungeschützt. Im Kampf der Geschlechter spielt die Gewalt von Männern gegenüber Frauen eine große Rolle, denn hier können Männer von vorneherein auf ihre Überlegenheit und ihre Durchsetzungsfähigkeit zählen. Auch heute gibt es mehr als genug Gewalt, die speziell von Männern gegen Frauen gerichtet ist: Gewalt in der Beziehung, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Demütigungen, Vermarktung, Versklavung….  Fälle, in denen Männer die Opfer von Frauengewalt sind gibt es auch. Aber sie stehen zahlenmäßig in keinem Verhältnis zur Gewalt gegen Frauen. Dennoch schreien Männer nicht selten: „Wir werden genauso geschlagen“. Ja, was den konkreten Fall betrifft ist das sicher genauso schlimm. Aber insgesamt gesehen ist das ein deutlich seltener auftretendes Phänomen.
Der oben genannte Bericht stellt fest:
Von 2012 bis 2018 gab es in München einen Anstieg einfacher Körperverletzung im Rahmen von häuslicher Gewalt in München von 118,2 Opfern auf 131,6 Opfer auf 100.000 EinwohnerInnen. Die Tatverdächtigen waren etwa zu 80% Männer und die Opfer zu 80% Frauen.“

Frauen als Opfer sexueller Gewalt

Wenn es um sexuelle Übergriffe geht, sieht es ähnlich aus:
So gab es 2018 in München auf 100 000 EinwohnerInnen 81, 8 Straftaten gegen die sexuelle Selbststimmung . „Der Anteil der männlichen Tatverdächtigen ist in diesem Zeitraum (von 2016 bis 2018) von 80% auf 94,6% gestiegen. Bei den Opfern ist der Anteil der Männer von 16,1% auf 10,0% gesunken. Demzufolge sind die Täter von Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung überwiegend Männer und die Opfer überwiegend Mädchen und Frauen.“

Die Me-Too Bewegung hat gezeigt, wie häufig kleine und größere sexuelle Übergriffe passieren und für wie harmlos, wie selbstverständlich, ja sogar wie „nett gemeint“ sie von Männern eingeschätzt werden. Und sie hat gezeigt, dass die Frauen sich der Entwürdigung dieser Erfahrungen erst bewusstwerden oder sich erst erlauben, sie bewusst wahrzunehmen, wenn andere, berühmte, anerkannte Frauen ihrerseits ihre Erfahrungen anprangern.        
Sicher ist diese Bewegung nicht frei von Trittbrettfahrerinnen, die ins Rampenlicht wollen, von Leuten, die damit Geld machen wollen und sie ist auch nicht frei von Versuchen, konkreten Männern nachhaltig Schaden zuzufügen. Aber sie trifft nun mal ins Schwarze:
Die Selbstverständlichkeit, mit der Mann einer fremden Frau an den Po greifen kann, ihr auf den Busen starren darf, wenn sie beide eigentlich ein sachliches Gespräch führen, ihr zweideutige Komplimente machen kann, die sie nicht haben will, seinen Arm um sie legt und ihren Widerstand als Einverständnis interpretiert, all das empört mich nach wie vor. Die Männer behaupten, das sei doch nett gemeint, das seien doch anerkennende Komplimente für die Frau. Ich bin sicher, dass sie das auch wirklich so sehen. Aber das entschuldigt sie kein bisschen. Sie sehen es so, weil sie vor Frauen weniger Achtung und Respekt haben als vor Männern. Weil sie es normal finden, eine Frau in erster Linie als sexuelles Wesen zu betrachten. Und dagegen verwahre ich mich. Wenn Frau – und sei es im Kabarett oder im Lied die Rollen mal umdreht, also verbal den Mann zu ihrem Opfer oder Spielzeug macht, reagieren Männer peinlich berührt. Aber ihnen doch nicht!

Ich weiß nicht, welche Sorte von Männern mich mehr dabei ärgert: die „Täter“ solcher Unarten (von den wirklichen Gewalttaten muss ich hier nicht reden) oder die Männer, die unsere Aufregung darüber albern finden. Sie nivellieren die Provokation, die dieses Verhalten für uns Frauen bedeutet, sie verharmlosen die Tatsachen. Sie finden nichts dabei und bezeichnen unsere Wut und Empfindlichkeit als prüde. Und wenn mich als Frau der Bericht über eine erneute Massenvergewaltigung erschüttert und innerlich klein und hilflos macht, sprechen solche Männer über dieses Ereignis wie über ein „normales Vergehen“, wie über einen Einbruch, einen Betrug, eine Steuerhinterziehung. Ich fühle mich in solchen Situationen ungeschützt und ausgeliefert.

Frauen sind oft Opfer von „hate-speech“ im Netz

Es gibt auch nicht wenige Männer, die sich durch emanzipierte Frauen und Bewegungen der Gesellschaft zur Gleichberechtigung von Frauen zurückgesetzt, entmachtet und gedemütigt fühlen. Das zeigt sich zum Beispiel an dem Untersuchungsergebnis über die Häufigkeit von Hassreden und digitaler Gewalt im Netz gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, das der oben genannte Bericht vorstellt. Von über 7000 TeilnehmerInnen einer on-line-Befragung gaben 40% an, dass sie „hate-speech“   im Netz gesehen haben. Davon ist nach ihren Beobachtungen die Gruppe der Frauen in höherem Maße betroffen als zum Beispiel die Gruppe der Homosexuellen und der Transsexuellen Menschen oder der Juden, der Sinti usw. Das Merkmal Frau bezieht sich im Vergleich zu allen anderen genannten Merkmalen Betroffener nicht auf eine Bevölkerungsgruppe mit besonderen ethnischen, gesellschaftlichen oder körperlichen Merkmalen, sondern ganz schlicht und pauschal auf das gesamte Geschlecht.  

Der Bericht zitiert den deutschen Juristenbund: „Hass im Netz hat eine Geschlechterdimension. Wo Frauen sich im Netz öffentlich oder gar politisch äußern, riskieren sie sexistische Anmache, pornografische Pöbeleien und Vergewaltigungsdrohungen. Das Netz erweist sich vielfach für Mädchen und Frauen als ein Raum, in dem sie beschämt und bedroht werden, und aus dem sie verdrängt werden sollen.“

Ein wichtiges Anliegen der Frauenbewegung ist es, dass frau in der Gesellschaft sichtbar wird, dass sie nicht einfach unter ferner liefen untergeht. Damit komme ich auf das große I. Dazu mehr beim nächsten Mal.

Quellen:

Landeshauptstadt München, Gleichstellungsstelle für Frauen: Bericht Gleichstellung von Männern und Frauen, Daten-Analysen-Handlungsbedarf 2020, Aufruf: 2.5.23

Deutscher Juristinnenbund (2019). Diskussion: Mit Recht gegen Sexismus und Hate Speech. https://www.djb.de/Veranstaltungen/2019/191104_Veranstaltung. Aufruf 2.5.23

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