Der Sommer lockt. Die ruhige Zeit am Schreibtisch mit Blick auf meinen Garten in der Streusandbüchse winkt. Doch noch ist Prüfungszeit. Die Seminare sind längst vorbei. Aber die ganze nächste Woche geht es zur Sache!
Ich muss in den kommenden 4 Werktagen insgesamt 30 halbstündige Prüfungen abnehmen. Und das bei den angekündigten Temperaturen!
Prüfungen sind die einzigen Gelegenheiten und Zeiten, in denen sich ProfessorInnen wohler und gelassener fühlen im Hochschulbetrieb als die Studierenden.
Seminare und Vorlesung sind eine höchst anstrengende Angelegenheit, in der ich jedes Mal 90 Minuten volle Aufmerksamkeit brauche: einmal für die Inhalte, die ich verständlich und auch einigermaßen interessant rüber bringen möchte und zum zweiten für die pädagogisch-didaktische Seite der Angelegenheit: Bekommt man einen Draht zu den Studierenden? Kann ich sie aus ihrer eher passiven, konsumierenden Haltung herausholen? Gelingt es mir, dass das Thema sie persönlich interessiert, ergreift, beschäftigt? Und was tue ich, wenn mich eine Wand von Gleichgültigkeit und Desinteresse empfängt? Oder wenn ständig geredet wird und die Leute offenbar ganz andere Probleme haben und miteinander diskutieren möchten als meinen Stoff?
Beim Prüfen muss man genau so aufmerksam sein, vielleicht ist es auch ein noch anstrengenderes Geschäft, aber man ist diesmal zumindest auf der Seite mit Heimvorteil. Hier muss man als Professorin nicht den eigenen Unterhaltungswert und den Spaßfaktor der eigenen Veranstaltungen unter beweis stellen, damit die Herren und Damen StudentInnen das Geschehen goutieren. Und entsprechend evaluieren….Diesmal liegt es absolut im Interesse der Studierenden, dass ein guter Kontakt zustande kommt, dass das Ergebnis erfolgreich ist und sie selber einen motivierten und engagierten und informierten Eindruck hinterlassen.
Trotzdem, ich prüfe nicht besonders gerne.
- Da sind die total Aufgeregten, die keinen ganzen Satz herauskriegen und bei denen man nicht weiß, ob das mäßige Ergebnis wirklich eine Folge dieser Aufregung ist oder nicht. Sie tun einem Leid und die Prüfung ist entweder eine Tortour oder eine Farce.
- Da sind die dreist Naiven, die offenbar glauben, dass es nach 8 oder 10 Semestern Studium keine Frage im Fach Soziale Arbeit geben kann, die sie nicht ohne hin und ohne in die Prüfungsliteratur auch nur hineingeschaut zu haben, beantworten können, die versuchen, mit ihrem Alltagswissen zu glänzen und oft nur gerade eben noch so an einer 4,3 vorbeischlittern.
- Da sind die Fleißigen, die unendlich viel gelesen und gelernt haben, bei denen das Wissen abgespeichert ist in kleinen Päckchen und abrufbar auf Punkt und Komma, es sei denn, die Frage bringt die Systematik ihrer kleinen Päckchen durcheinander. Dann ist alles dahin und man schaut in eine gähnende Leere, wo Verstehen und Begreifen hätten sein können.
Es gibt allerdings auch die andere Variante, die positive Überraschung:
- Da macht z.B. eine junge Frau, die ich bisher nur schweigend in Seminaren habe sitzen sehen, endlich einmal ihren Mund auf und es haut mich einfach um, weil da so viel Fachverständnis und Differenziertheit herüberkommt, wie ich es dir nur wünschen kann.
- Oder ich finde mich nach 10 Minuten in einer interessanten fachlichen Diskussion wieder mit einem ebenbürtigen Partner und bedauere es, dass ich das Gespräch abbrechen muss, weil der Kandidat hier nicht sitzt um sich mit mir zu unterhalten und mit mir zu debattieren, sondern weil ich ihm eine Note für seine Leistungen zu verpassen habe.
Das sind dann High-Lights für eine Prüferin. Da kann man schon mal die Anstrengungen der letzten 5 weniger tollen Prüfungen vergessen.