Studentenversammlung zu Bachalor-Zeiten

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Eben komme ich von einer „Trauerfeier“ auf dem Campus unserer Hochschule: Der bisherige StuRa hatte alle 5000 StudentInnen aufgerufen, mit Ihnen gemeinsam den StuRa zu Grabe zu tragen. Es haben sie für die anstehende Wahl nicht mehr genügend Kandidaten gefunden, die bereit gewesen wären, die Arbeit fortzusetzen. Nun muss die Arbeit eingestellt werden. Die Fachschaftsräte sterben gleich mit. Eine Wiederbelebung ist nicht ausgeschlossen. Aber auch nicht so ohne Weiteres möglich.
Die Hochschulleitung hatte verlauten lassen, dass sie es sehr bedauern würden wenn nur 10 Hanseln kommen sollten , denn dafür hätte sich dann die ganze Mühe doch nicht gelohnt.
Dieses Vorschussmitleid war überflüssig. Es kamen einige Hundert StudentInnen, bei strahlendem Wetter, aber immerhin. Und nach der guten Rede der StuRa-Vorsitzenden gab es auch wirklich eine angeregte Fragerunde zum Thema.
Wer nicht kam, war die Hochschulleitung. Sie waren nicht explizit (ein)geladen worden, aber auch an ihren Türen hatte überall das große, beeindruckende schwarze Plakat mit der Todesanzeige gehangen.
Die Fragen der StudentInnen an den scheidenden StuRa drehten sich vor allem um eins: „Wie soll ich neben meinem vollgepackten Bachalor-Studium eine solche Arbeit bewältigen??“  Und es tauchten die unglaublichsten Vorschläge und Ideen auf, wie angesichts der angespannten Zeitschine eine solche ehrenamtliche Arbeit irgendwie vergütet, aufgewogen, belohnt, entschädigt werden könnte: von der Möglichkeit, dafür einen Schein zu bekommen oder als StuRa-Mitglied nicht nur 3 sondern 4 Möglichkeiten zur Prüfungswiederholung zu haben, über die Idee, StuRa-Mitgliedern wie Studierenden mit Kindern ein Teilzeitstudium zu ermöglichen bis hin zu der Idee: „Wenn wir alle keine Zeit mehr haben, können wir uns nicht jemanden kaufen, der dafür unsere Interessen vertritt?“
Für eine Alt68erin war das alles ganz schön harter Tobak. Aber die Bedingungen sind wirklich völlig anders als zu jenen Zeiten Was deutlich wurde: Das Studium und auch das ganze gegenwärtige und zukünftige Leben unserer Studierenden sind so gestrickt, dass einfach keine Zeit bleibt, keine Zeit, um sich um seine und die Interessen aller zu kümmern, keine Zeit, um die Gelegenheit zu nutzen, sich in demokratischen Gremien zu erproblem und dort Erfahrungen zu sammeln, keine Zeit, um mit anderen zusammen kulturelle oder auch politische Veranstaltungen und Angebote zu organisieren.  Alle sind sie –  genau so, wie unsere feine Gesellschaft sich das neoliberaler Weise so vorstellt –  auf einen Zug aufgesprungen oder laufen gerade noch hinter ihm her, der ihnen droht zu entwischen. Alle haben es furchtbar eilig und wollen so schnell wie möglich so weit wie möglich nach vorne und nach oben kommen.

Es gibt an unserer Hochschule kaum so etwas wie Studentenleben, keine Räume, wo Studierende sich treffen können, keine Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Fachbereiche oder gar Fachbereich  übergreifend. Dass es überhaupt möglich ist, dass sich 400, 500 Studierende tatsächlich aus solch einem Anlass gemeinsam auf dem Campus versammeln, hat schon verwundert. Da war sogar eine kleine halbe Stunde, in der man für einen winzigen Moment davon träumen konnte, dass es noch einmal soetwas wie Studierende geben könnte, die sich gemeinsam für ihre politischen Interessen einsetzen. Da gab es sogar wirklich ein paar Minuten, wo die kollektive Erkenntnis in der Luft lag, dass es grundsätzlich an der Studierbarkeit in unserer Hochschule fehlt. Von 40% Studienabbrechern bei uns in Sachen Bachelor war die Rede. An dieser Stelle der Verantstaltung hätte vielleicht sogar die Forderung nach einer Studentenvollversammlung gezündet, einer Vollversammlung mit Einladung an die Hochschulleitung und mit dem Hauptthema: „Können wir hier eigentlich noch „studentenwürdig“ studieren?“ Und wenn nein, was muss sich ändern? Wer kann was dafür tun? Was die Hochschulleitung? Was die Studierenden? “ Aber diese Forderung blieb ungestellt.
Eine kleiner Trupp von Insidern begleitete danach den StuRa-Sarg in die Stadt, der Rest blieb achselzuckend zurück. Was soll man tun. Keine Zeit. Keine Zeit.
Sie haben nicht einmal mehr die Zeit, sich darum zu kümmern , warum sie eigentlich keine Zeit haben.

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Feierabend

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Damit meine drei Bandscheibenvorfälle nicht ständig damit drohen können, angesichts meiner Tragelasten in Richtung Ischias zu löcken und mich und meine Arbeitskraft im wahrsten Sinne des Wortes lahm zu legen, bezahlt mir das Amt für Integration  eine „Hilfe zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben“, eine tolle Sache! Ich bin den Mitarbeiterinnen in Gera sehr dankbar. Ein großes Stück Lebensqualität ist wieder gewonnen: Da ist jemand, der mir als Assistenzkraft meine schweren Büchertaschen samt Notebook morgens die Treppen herunter ins Auto schleppt und am Arbeitsplatz dann wieder rauf  bis auf meinen Büroschreibtisch. Und abends dann das gleiche umgekehrt…Ich stehe dann abends in meinen Räumen, überrascht, wie wenig erledigt ich bin, weil mir das allabendliche Geschleppe erspart blieb und tauche gerade zu rüstig in den verdienten und herbeigesehnten Feierabend ein.

In diesem Sommersemester sah es erst ganz so aus, als wäre keiner der über 700 Studierenden unseres Fachbereiches bereit oder in der Lage, diesen Job zu übernehmen, da dieses Mal meine Arbeitszeiten ziemlich unfreundlich gestaltet sind. Aber siehe da, es fand sich doch einer. Seit Montag habe ich endlich jemanden gefunden, der bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Es ist ein niederländischer Student, der dieses Semester bei uns studiert und im Unterschied zu all den anderen am Ende des Sommersemsters keine großen Prüfungen abzuleisten hat, weil er seinen Bachelor in Holland schon absolviert hat. Deshalb hat er mehr Zeit…
Er trägt also meine schweren Taschen, läuft leichtfüßig Treppen und ansteigende Bürgersteige hinauf, sitzt dann neben mir in meinem kleinen Auto und versucht, dort seine langen Beine einigermaßen unterzubringen und wir unterhalten uns.
Und so habe ich erfahren, dass es im Niederländischen kein Wort für „Feierabend“ gibt. Ist das möglich? Für eine so wichtige und wunderbare Sache kein eigener Begriff? Ob es in anderen Sprachen dafür auch keine eigene Bezeichnung gibt? Ich muss direkt mal nachschlagen! Vielleicht haben die Deutschen ja zu diesem Ereignis ein ganz besonders gutes  Verhältnis? Aber eigentlich sieht das den Deutschen doch gar nicht so besonders ähnlich, ich hätte da eher auf andere getippt. So kann man sich irren im eigenen Volk und in der eigenen Sprache.


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Lyrica

So heißt nicht mein neuer Gedichtband und es ist auch nicht der Name einer Frauengestalt in einem romantischen Roman – es ist mein neues Medikament.
Ich staune über diesen Namen und wüßte ganz gerne, wie ein Medikament zu so einem Namen kommt. Drin ist vor allem ein Stoff namens Pregabalin, was ja nicht besonders lyrisch klingt.

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Es ist gegen Epilepsie und Neuralgien und anders mehr. Unter anderem gegen Restless legs, diese unglaubliche Krankheit, die einen mit ihren quälenden Mißempfindungen in die Hölle schicken kann. Da ich außer an restless legs auch unter Neuralgien leide, seit ich monatelang nur am PC gesessen habe, fand meine Neurologin es ein gute Idee, bei mir nun gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ich war einverstanden. Auch noch, als sie mir offenbarte, dass dieses schöne Medikament bei mehr als 1  von 10 Patienten zu Gewichtszunahme und gesteigertem Appetit sowie zu anfallsartigen Müdigkeitsattacken führt. Letztere würden sich mit der Zeit geben. Alkohol ist streng verboten!
Etwas ängstlich geworden, sah ich mir die Beipackung genauer an und gab danach Lyrica in Googel ein – und fiel voller Schreck unter eine chattende Gruppe Lyrica geschädigter ZeitgenossInnen: Die eine hatte schon 6 Kilo in einem halben Jahr zugenommen, ein anderer konnte vor Müdigkeit nicht mehr Autofahren, andere überlegten, ob sie ihrem Beruf noch weiter nachgehen konnten….
Mir wurde es unheimlich. Dennoch begann ich mit der Einnahme, lauschte in mich hinein, ob mich die Hungerattacke erreichte oder mich eine Müdigkeitswelle wegspülte…
Ich merkte von all dem nichts. Bis heute bekommt mir das Zeug bestens. Nur die Restless legs sind noch nicht so gut kontrolliert wie vorher unter Sifrol.
Als ich jetzt noch einmal in den Beipackzettel hineinsah, fand ich unter den Indikationen auch noch „chronische Besorgniszustände“ und unter den Nebenwirkungen „Euphorie“. Deshalb also geht es mir seit 4 Wochen so locker gut und deshalb also habe ich derzeit durchgehend beste Laune. Nicht schlecht her Specht. Ist das jetzt die Nebenwirkung „Euphorie“ oder die Wirkung bei der Indikation „chronische Besorgniszustände“?

Jedenfalls habe ich endlich auch einmal richtig  Glück im Leben : Ich gehöre zu den 7 oder 8 von 10 Leuten, denen, die die Nebenwirkungsschrecken des lyrischen Pulvers nicht abbekommen haben.

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Palisanderprinzessin

Seit vorgestern weiss ich nun, dass ich wirklich eine Palisanderflöte gekauft habe und kein imitiertes Plastikteil.

 

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Sie hat eine wundervolle Maserung, ist natürlich dunkel und wird noch recht schnell heiser. Ich werde sie liebevoll einspielen, mit den alten, leichten, nicht hoch gesetzten Stücken.

Ich habe Sie für 124 Euro bei ebay erstanden, war ganz und gar scharf drauf. Aber als sie kam war sie so merkwürdig leicht und hatte kein Markenzeichen. Aber sie riecht nach Palisanderholz, süß-herb und die Maserung geht durch.

Meine  Flötenlehrerin meint, sie sei 100% echt und ihre Tonart eigne sich für melancholische Moll-Stücke besonders.

Ich möchte meiner brasilianischen Schönheit einen eigenen Namen geben, Lyrika fiel mir ein, aber so heißt schon meine neue Tablette gegen Neuralgien. Also was anders. Mal sehen …

Meine schwierige helle, 30 Jahre alte Blockflöte werde ich nicht ausrangieren. Sie klingt eigentlich wunderbar. Ihre Schwierigkeiten – oder besser meine – beim hohen d, beim hohen cis, beim hohen f muss ich überwinden. Zwar könnte ich das Daumenloch überarbeiten lassen. Aber Frau S. hat mir erklärt, dass es lohnt, diese Töne aus ihr herauszulocken. Sie ist eben kein mechanisches, sondern ein eher lebendiges Instrument, mit dem man vorsichtig und behutsam aber deutlich umgehen muss, wie  mit einem Pferd, das man reitet.

 

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Flöten ist mir zur Leidenschaft geworden. Ich bin nicht besonders gut, obwohl A.  erstaunt war, wie gut ich nach 1 Jahr Unterricht spiele (obwohl ich saumäßig war beim Vorspielen). Aber ich habe bestimmt 6 Jahre mit großen Unterbrechungen vorher schon gespielt, autodidaktisch, weil meine Unterrichtskarriere mit 9 Jahre kläglich endete. Mein Lehrer hat mich damals aus dem Ensemble geworfen: die alte, geerbte Altblockflöte meines Vaters stimmte nicht zu den anderen Flöten und mein Vater sah nicht ein, dass er mir deshalb ein neues Instrument kaufen sollte.

20 Jahre später kaufte ich mir endlich dann selber eine neue, eigene Flöte, meine jetzige, helle Moeck. Die alte meines Vaters habe ich – heute bedauere ich es sehr – leichtsinnig und wahrscheinlich noch im Groll wegen der kindlichen Frustration erst vor wenigen Jahren im Rahmen eines Umzuges weggeworfen.

 

Seit ich  täglich eine Dreiviertel Stunde bis eine Stunde spiele, merke ich, dass ich nicht einfach Noten abspiele, sondern tatsächlich Musik mache. Das ist ein unglaubliches Gefühl, als hätte man Flügel, als eröffne sich eine neue Dimension des Lebens und Erlebens. Leute die wirklich Musik machen werden sicher über diese naive Aussage lächeln. Aber für mich, die ich musikalisch eigentlich eher unterbelichtet bin, ist es eine Offenbarung.

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endlich wieder Gartenleben!

Er hat so furchtbar lang gedauert, dieser Winter. Doch jetzt ist der Frühling also wirklich da. Ein unglaubliches Osterwetter!

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Meine ganze wunderbare Feiertagsfreude bestand darin, in der warmen Sonne im Garten herumzulaufen, zu sähen, zu wässern, meine neuen Flaschentropf-Einrichtungen auszuprobieren, zu schneiden und zu pikieren, zu setzen und einzupflanzen. Besonders aufregend war es, mit bloßen Händen in der weichen, vorher umgegrabenen Erde zu wühlen, um  Daumen dicke Wurzeln eines Hopfen ähnlichen Unkrautes aus dem Boden heraus zu ziehen, die wie unterirdische Wasserleitungen in zwei „Etagen“ ein Stück unseres Gartens durchzogen. Ich werde sie in einem Karton trocknen und dann verbrennen. Alles andere ist mir zu riskant.

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eine riesige Kiste voll Wurzeln dieser unglaublich vitalen aber unerwünschten Pflanze…

Endlich kann wieder draußen gegessen, geruht, geplaudert, gelesen werden. Der Pool zum Wassertreten ist auch wieder bereit, überall stehen unsere großen Wasserbottiche, randvoll mit Brunnenwasser gefüllt – das Regenfass ist schon lange leer.

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 die Teichrose entwickelt jeden Tag eine neues Blatt

Noch ist der Garten eigentlich kahl. Aber ich freue mich – wie wohl jeder Gärtner – über jedes neue Blatt, jede grüne Spitze, die aus der Erde kommt, auch über die bestimmt tausend Sämlinge unserer Wunderpflanze, dem Springkraut, die grüne Teppiche bilden und stehen bleiben dürfen, bis der Garten selber und ohne ihren Beitrag grün geworden ist.
In 4 Wochen wird es gar nicht mehr möglich sein, einzelne Pflanzen oder gar Blätter zu beobachten. Und in zwei Monaten besteht der Garten nicht mehr aus einzelnen Beeten und Pflanzen, sondern aus einer Fülle von grünen Flächen und Durchblicken und aus bunten Tupfen, die über all das Grün ausgegossen wurden. Aber bis dahin begrüße ich noch jedes Blatt und jede Blüte einzeln.
Die letzten Blütenstengel aus dem Vorjahr, die uns im kahlen Winter und Vorfrühling wenigstens eine kleine Ahnung vom Sommer vermittelt haben, sind bald nicht mehr nötig.

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Gruß aus dem letzten Sommer – bald brauchen wir ihn nicht mehr…

Und in meinem Gartenhaus stehen die pikierten Pflänzchen aufgereiht und werden hoffentlich wachsen und gedeihen, bis sie nach den Eisheiligen raus dürfen: Levkojen, Landnelken, Astern, Strohblumen, Standflieder, Fuchsschwänze, Bechermalven und Löwenmäulchen…..

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lauter kleine, frisch pikierte Blütenpflanzen – jetzt müssen sie nur noch wachsen

Andere haben sich größere Projekte vorgenommen. Kranich macht endlich seinen Traum vom Spargelbeet wahr.
Unsere Garten-Arbeitsteilung (Kranich kümmert sich um alles alles was man essen kann, also Gemüse und Obst. Ich sorge für Blumen, Stauden und Sträucher) klappt hervorragend.Ab und zu gibt es kleine Grenzstreitigkeiten um die Frage, ob irgend eein Quadratmeter unseres brandenburgischen Sandbodens zum Gemüsebeet oder schon zum Blumenbeet gehört. Aber letztlich sind unsere Reviere gleich groß und ausgewogen. Mir schmecken die Tomaten under freut sich doch über die Blumen, deren Namen er sich nicht merken kann…

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hier entsteht ein Spargelbeet

Mir gelingt es über dem Garten alles zu vergessen: meine Arbeit und was ich alles noch vorbereiten müsste, die Krise und andere Sorgen, sogar manchmal meine Flöte …


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Rentnergeschichten

Seit ich die Jahre bis zu meiner Rente an einer Hand abzählen kann, sammele ich Rentner-Geschichten. Wie ergeht es älteren Menschen, wenn sie – erwünscht oder unerwünscht – in Rente gehen müssen.

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Es gibt so viele Ratschläge und Tipps zu dieser Frage: mache einfach alles weiter, wie vorher! Gönne Dir erst mal Ferien, bis Du sie satt hast! Suche dir eine neue Aufgabe, damit du dir nicht überflüssig vorkommst! Mach jetzt endlich all das, was du nie hast machen können!…

Wahrscheinlich gilt für jeden Menschen ein anderes Rezept. Auf alle Fälle gibt es RentengewinnerInnen und RentenverliererInnen, stelle ich immer wieder fest.

Da war mein erster Schwiegervater, der Lokführer, der 1 Woche vor seiner Pensionierung an Herzinfarkt starb.

Da war die frühere Sekretärin unseres Jugendamtes, die durch eine glückliche Verfügung in ein Frührentenprogramm geschlüpft war, und die ich ein dreiviertel Jahr nach Rentenbeginn auf der Straße traf: braun, lebendig, jünger als ich sie je gesehen hatte und voller Lebenslust.

Da ist meine Schwägerin, die sich seit Jahren auf die Rente freute, weil ihr Beruf ihr so große Beschwerden in den Beinen bereitet hat und die dann aber Monte lang aus dem Gleichgewicht geriet, erst mittags aus dem Bett kam, ihren Beruf und die KollegInnen vermisste und einfach kraft- und lustlos mitten in ihrer leeren Wohnung herumsaß.

Da ist Marianne, die ich neulich etwa ein Jahr nach ihrer unfreiwilligen Frühverentung wiedersah: Nie war sie so glücklich und so lebendig gewesen! Eine Freundin hatte sie gefragt, ob sie bei einer Laien-Theatertruppe mitmachen wolle, die ihre Stücke in Altersheimenaufführe. Marianne, die selten in ihrem Leben im Theater gewesen war und sich auch nie besonders für Dichtung und Sprache interessiert hatte, sagte promt zu und ist nun glücklich mit ihrer kleinen Truppe interessanter Menschen und ihren spannenden neuen Aufgaben.

Da kann man neidisch werden, denke ich.  Aber allmählich dämmert mir, dass die Sehnsucht danach, endlich nicht mehr regelmäßig zur Arbeit gehen zu müssen, endlich seine eigene Herrin sein zu können, endlich ausruhen zu können, den Alltag genießen, alte Pläne verwirklichen zu können, dass diese Sehnsucht allein nicht trägt, um diese neue Herausforderung glücklich zu bewältigen.

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Frühlingseinkauf mit Überraschung

Ich habe schon heute morgen gesehen: Sie kaufen bei uns…

Mittwoch Nachmittag, die Seminare für diese Woche liegen hinter mir. Blick auf vier „freie Tage“, wo ich zu Hause am Schreibtisch arbeiten und vielleicht auch ein bisschen Frühling schnuppern kann. Große Feierabendstimmung breitet sich in mir aus und plötzlich ein Riesenhunger auf Frühling.
Ich entschließe mich spontan, noch in der Stadt Shoppen zu gehen. Mir schwebt ein schwingender, heller Sommerrock vor.

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Otto-Eckmann, Frühling

Ich sehe mich im Kaufhaus um. Röcke sind dieses Jahr nicht gerade üppig vertreten. ‚Der dort vielleicht, der auch, der nicht, aber der. Sollte ich mal anprobieren…‘
Da spricht mich plötzlich jemand mit meinem Namen von hinten an. Vor mir steht eine meiner Studentinnen, die vor ein paar Stunden noch in meinem Seminar gesessen hat. Sie arbeite hier, schon seit 2 Jahren, neben dem Studium, oft 4 Stunden am Tag und mehr. Als sie im letzten Semester ihr großes Praktikum gemacht hat, musste sie täglich nach 8 Stunden Praktikum noch für 4 Stunden im Kaufhaus arbeiten. Das sei die Härte gewesen. Ich kann es mir vorstellen.
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„Ich habe schon heute morgen gesehen: Sie kaufen bei uns…“, sagt sie. Tatsächlich, ich habe noch immer das neue Shirt an, das farbig leuchtend gestreifte, das ich bei meinem letzten Frühlingshunger vor 14 Tagen  aus diesem Laden abgeschleppt habe. Als würde ich ständig nur Klamotten kaufen, denke ich amüsiert. Egal, ich nutze die Gelegenheit und erläutere meiner Studentin meinen neuen Frühlingswunsch: bequem, luftig, fröhlich, fließend, schwingend…. Und sie bringt herbei, was der Laden hergibt, berät in Stil- und Farbfragen und umsorgt mich und mein Shoppingbedürfnis mit höchster Professionalität. Und ich , die eigentlich so ungern Klamotten einkauft wie andere zum Zahnarzt gehen, ich fühle mich aufgehoben wie in Abrahams Schoß und ziehe nach einer guten Stunde mit 2 neuen Röcken und 2 passenden T-Shirts ab.

Und das alles, damit mir auch nächste Woche wieder eine Studentin sagen kann: „Aber Frau S., Sie sehen ja heute aus wie der leibhaftige Frühling!“. Man tut was man kann.

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Goethe-Galerie Jena

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er kommt …

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Auszug aus meiner Trilogie:

Friedhofsgespräche – Teil II – Denkmal für meine Mutter

Du lebtest wieder in Dresden, als das erste Schuljahr langsam zu Ende ging. An einem blauen Märztag des Jahres 1927 hattest auf deinem Schulweg durch den Blüherpark die ersten Schneeglöckchen entdeckt. Der Lehrer kam an diesem Morgen in den Klassenraum, grüßte die Kinder stumm, schrieb mit großen, klaren Buchstaben an die Tafel: „Er kommt….“ und wandte sich dann mit fragendem Gesicht an die Klasse. Die Kinder schwiegen erst verwirrt, bis sie begriffen, was der Lehrer von ihnen wollte. Dann schnellten die Finger hoch. „Der Lehrer kommt“, posaunte stolz ein Junge heraus. „Nein“, der Lehrer schüttelte den Kopf. Diese Antworte wollte er nicht. „Der Vater kommt“, „die Mutter kommt“, „das Kind kommt“, „der Mann kommt“, „die Frau kommt“… Immer wieder schüttelte der Lehrer bestimmt und geheimnisvoll seinen Kopf und nahm das nächste Kind dran. Schließlich kamst du an die Reihe, die du vom ersten Moment die richtige Antwort gewusst hast. „Der Frühling kommt!“ jubeltest du in die Klasse. „Du“, sagte der Lehrer, „du kannst dich auf der Vogelwiese sehen lassen“.

 

P.S. Die Vogelwiese ist der  Jahrmarkt in Dresden , vermutlich heute noch?

 

 


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  Apfelbäume warten auf den Frühling

 

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 Vorfrühling am Bach

 

 

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 Der Frühling zieht in Jena ein

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Vorsicht Abzocke!

Wie ich danach dann im Netz nachlesen konnte, bin ich weder die erste noch die einzige, die mit dieser „Firma Spielfox“ Ärger bekommen hat.  Im Nachhinein kann ich nur staunen über solch eine unverfrorene, gemeine Abzocke! Es hat mich noch bestimmt eine Stunde richtig aufgeregt und ich musste mir anschließend den Escher ansehen, damit ich wieder an das Gute im Menschen glauben konnte 🙂

Ich sitze am PC, ins Arbeiten vertieft. Als das Telefon klingelt, denke ich: „Na, wieder die Tochter? Oder ein Kollege? Es meldet sich nach einer kleinen mir sehr bekannten typischen Pause eine junge Männerstimme, die sofort auf mich einredet, ob ich Frau Soundso sei. Den Namen und seine „Firma“ hat er so dahin geschnoddert, dass ich nichts wirklich verstanden habe. Dennoch bin ich sicher, dass es irgend eine Werbeattacke ist, habe noch die Nachrichten im Ohr, das sowas für die Werbebelästiger in Zukunft bis zu 50 000Euro kosten kann. Fast überkommt mich Mitleid mit dem armen Schlucker, der dafür bezahlt wird, dass er andere Menschen überfahren und über den Tisch ziehen soll.
Vielleicht habe ich deshalb nicht sofort aufgelegt. Vielleicht aber auch, weil er es schaffte, mich mit wenigen Worten irgendwie zu beunruhigen. Er fragt, ob ich ein Spiele-Abo weiter verlängern will oder ob ich es kündigen möchte. Welches Abo?
Ja, erklärt er mir ohne zu Zögern, da hätte ich wohl unbewusst (Junge, was weißt du von meinem Unterbewusstsein?) irgendwas angeklickt oder eine 09er Nummer gewählt oder so. Jedenfalls läge ihm meine Beitrittserklärung vor. Die ersten 3 Monate sei meine Mitgliedschaft umsonst gewesen, ich sei also kostenlos in den Genuss irgendwelcher Spielaktionen gekommen. Nun hätte ich die Kündigungsfrist versäumt und sie müssten mir ab sofort im Monat 55 Euro von meinem Konto abbuchen. Wenn ich jetzt kündigen wolle, könne er mir -falls ich in diesem Zeitraum nichts gewinnen würde – eine Rückgabegarantie der eingezahlten Gelder versprechen, als kleines Dankeschön so zu sagen.

Es erscheint mir unmöglich, sowas „aus Versehen“ veranlasst zu haben. Es scheint mir unmöglich, dass auf eine solche Weise Verträge zustande gekommen sein können. Sein selbstverständlicher, routinemäßiger, halb genuschelter Tonfall macht es mir dennoch schwer, auf die Alarmglocken in mir zu hören.
Ich frage nach der Firma, die nennt mir er. Einen Vertrag kann er mir nicht zuschicken. Er kann auch nicht mehr recherchieren, wie dieser angebliche Vertrage zustande gekommen sein soll. Aber er hat ja meinen richtigen Namen, meine Adresse. Das irritiert, macht seine Aussagen im ersten Moment glaubwürdig. Um zu sehen, ob ich auch wirklich die Richtige bin, und damit er die Kündigung dann richtig weiter leiten kann, muss er die Daten abgleichen. Mein Geburtsdatum bekommt er auf diese Weise noch aus mir heraus.  Aber ich erkläre ihm, dass ich nichts kündigen werde, wo ich nicht einmal einen Vertrag vorgelegt bekomme, den ich angeblich unterschrieben habe. Dann müssen wir eben weitere 12 Monate bei Ihnen abbuchen, es sei meine eigene Schuld, erklärt er mir dreist.
Ich werde allmählich wach, frage nach seinem Namen, verlange eine Telefonnummer seines direkten Vorgesetzten,  eines Geschäftsführers. Er verweigert und wird immer pampiger. Ich spreche von Erpressung. Er sagt, dass er nicht so viel Zeit habe und schließlich schon 11 Minuten mit mir reden würde und er es auch nicht zum Spaß mache.
Dann verlangt er meine Bankleitzahl, fordert sie richtig, als sei ich ihm was schuldig. Ich begreife endlich, dass er nichts vergleicht, sondern schlicht Informationen aus mir herausholen will.  Ich drohe mit dem Anwalt, ärgere mich gleichzeitig, dass ich ja nichts Direktes in der Hand habe. Mitten im Satz legt er auf.

Der Blick in Google beruhigt mich. Es ist unglaublich, wie geschickt die es schaffen, einen doch beinah über den Tisch zu ziehen. Es ist empörend,  anderen ausgesetzt zu sein, die so skrupelos vorgehen. Ich habe gerade noch so die Kurve gekriegt. Und ich frage mich, was unbedarfte junge Leute tun würden, alte Menschen, Hartz IV Empfänger?
Das Schärfste dabei war, er gab sich ja keineswegs seriös. Er outete sich als Abzocker, auf den ich leider nun mal hereingefallen sei und rechnete damit, dass ich von den unsäglichen Geschichten weiß, wo Anwälte aus Menschen Geld erpressen für die irrsten Sachen, die sie nicht haben machen wollen. Er gab zu, dass getrixst worden sei, dass dieser angebliche Vertrag  wohl nicht auf  ganz saubere Weise zustande gekommen sein wird. Aber das sei mein Pech und das hätte ich nun auszulöffeln.

Erst jetzt wird mir klar, dass ich, auch wenn ich ausversehen was angeklickt hätte oder irgendwo mit meinem Namen Werbematerial angefordert hätte oder so etwas, ich mit absoluter Sicherheit dabei nicht auch noch meine Bankverbindung dazu geschrieben hätte.  Ich hätte also doch gleich, schon nach der bekannten kleinen Pause am Anfang desGespräche, wo vermutlich irgendetwas erst durchgeschaltet wird, auflegen sollen. Hätte mir viel Ärger und Aufregung aber auch eine neue Erfahrung erspart.

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zwei oder drei Dinge

Jetzt mit 60 frage ich mich erneut, warum ich das hier eigentlich mache. Ich habe einige Monate gezögert, ob ich nicht jetzt aufhören soll. Aber es gibt noch immer ‚zwei oder drei Dinge, die ich von mir weiß‘, und die ich auch anderen zur Kenntnis geben möchte. 

z.B. meinen Eindruck vom diesjährigen Frühlingsbeginn

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Usedom o9

frühlingsanfang

dass die kälte nicht weichen will!

tags täuscht die sonne frühling vor.

in der nacht aber schleicht der frost

über den kahlen boden.

was sich am tage an licht wagt,

erstarrt am abend wie wintertot.

 

60mal schon ist auf den winter der frühling gefolgt.

warum also sollte er es dieses mal nicht auch tun?

 

März 09


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