Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

5. Kapitel

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Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

Kapitel 4

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Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

Kapitel 3

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Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

Kapitel 2

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Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

(Tagebuchaufzeichnungen von 1993 – 1996)

Kapitel 1

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Schöne, neue fremde Welt III

zu Teil I

zu Teil II

3. Und dann kam Corona.

Und Corona hat es nun fertiggebracht, uns zu zeigen, wie es doch ohne „Höher, Schneller, Weiter“ auch und besser geht. Trotz der massiven Kollateralschäden werden die Veränderungen gepriesen und begrüßt, die ganz so aussehen, als hätte die Gesellschaft endlich Vernunft angenommen, würde nicht mehr über ihre Möglichkeiten leben, würde die Umwelt schonen, den überflüssigen Stress ablegen, wieder zu sich kommen, wieder an Werte denken, wieder auf den Nächsten achten……
Die Wünsche vieler alternativ denkender Liberaler und auch Linker scheinen sich plötzlich zu erfüllen.
Dass auch Wünsche nach einer Führung, nach strengeren Regeln, nach einer Macht, die durchgreift und einem das Denken abnimmt, dabei in Erfüllung gehen, sehen sie weniger. Tatsächlich aber spricht die Bereitschaft der Massen, auch der intellektuellen Schichten, den immer willkürlicheren und irrationalen „Schutzmaßnahmen“ der Regierung gehorsam und bereitwillig zu folgen, klar dafür, dass eine starke Führung, die uns das Denken und die Verantwortung erspart, bereits angenommen und begrüßt wird.

Viele Menschen, zum Beispiel auch SozialarbeiterInnen, denken, dass nun endlich, nach der Corona-Krise, die Welt und speziell die Soziale Arbeit wieder anders, menschlicher gestaltet werden kann. Sie glauben, dass eine Veränderung eingetreten sei, die auf Dauer den Menschen wieder die Herrschaft über das Leben und die Welt geben könnte.
Ich fürchte, diese Idealisten werden unsanft aufwachen, wenn sich zeigt, dass die Machtverhältnisse geblieben sind und ihre Macht eine andere Sprache spricht als die einer humanistischen Erneuerung. Der alte politische und ökonomische Hintergrund ist bei und nach Corona genauso vorhanden. In vieler Hinsicht ist er sogar seinen Zielen durch Corona nähergekommen: Nicht nur, dass natürlich und bis auf weiteres keinerlei Geld mehr da sein wird – schon gar nicht für Soziales im eigentlichen Sinne. Es setzen sich sehr wohl auch jetzt schon – während Corona – Verschärfungen einer neoliberalen Entwicklung fort:
Die unaufhaltsame, unkontrollierte und unkontrollierbare Digitalisierung und Überwachung, die Distanzierung in der Gesellschaft und z.B. auch in der Sozialen Arbeit, der Bruch in der Gesellschaft zwischen den Reichen und dem Rest und der Bruch zwischen den Abgehängten und den MacherInnen…
Neulich schrieb mir jemand: „Dass Geschäftsleute in allem sofort ein Geschäft wittern und sich darauf stürzen, bedeutet für mich nicht, dass die Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung unredlich sind, also zweckgebunden manipuliert werden. Gewinner dieser Art gibt es in jedem “Krieg“. So ist das.“
Die „Geschäftsleute“, die an Corona verdienen und ihre Macht ausbauen, das  sind aber leider keine redlichen Mitbürger und Kaufleute, sondern Milliarden schwere Konzerne, die ihren Profit nicht nur wittern, sondern voraussehend steuern und denen die Folgen ihrer „Geschäfte“ einen Dreck interessieren.

Doch da schimmert Hoffnung am ausgerechnet am kapitalistischen Horizont?
Die immer deutlicher proklamierte Chance eines „Great Reset“ scheint da für so manchen die erwünschte Wende weg vom neoliberalen System zu sein:
Wenn sich Regierungen und große Teile der Wirtschaft plötzlich für Umweltschutz, Bekämpfung von Hunger und Arbeitslosigkeit einsetzen, dann, so glauben viele, sei der Kapitalismus endlich „zur Vernunft“ gekommen.
Aber auch das ist nichts anderes, als eine neue der Strategie des progressiven Neoliberalismus: er verzichtet auf den grenzenlosen Wachstums-Wahn und macht sich selbst zum Vorreiter sogenannter progressiver Bewegungen wie den Umweltschutz, erklärt sich zum Durchsetzer einer Verbesserung unserer Schulen im internationalen Ansehen (durch die Digitalisierung), zum guten Menschenfreund. Er verdient nicht schlecht daran. Man tue nur einen Blick auf die Börsenlage und schaue sich an, wer in der Corona-Krise sein Vermögen vergrößert, ja verdoppelt hat. Aber das ist vermutlich nur ein Nebeneffekt. Der große Reset ist die Strategie, die Weltbevölkerung von dem abzubringen, was man ihr selbst seit Jahrzehnten eingehämmert hat: Dass es immer besser wird, immer schneller wird, immer höher hinausgeht. Genau wie man bisher diese profitfördernde Manipulation hinbekommen hat, genauso glaubt man jetzt, ihrer wieder Herr zu werden und sie aus den Köpfen der Menschen herausschlagen zu können.
Der Kapitalismus sorgt sich um seine Zukunft und schafft sich ein neue, weniger verwöhnte und anspruchsvolle Bevölkerung, mit der er gut weiter existieren kann.
Viele Menschen im Westen sind bereit, ihren verwöhnten und was vor allem die Umwelt betrifft rücksichtslosen Lebensstil zu ändern. Viele Menschen haben längst das Höher, Schneller, Weiter satt. Aber nicht sie selbst sollen die Konsequenzen ziehen und Veränderungen durchsetzen. Das macht man sicherheitshalber lieber von oben und mit gelindem Druck.
Und warum macht er das? Die Antwort ist nicht neu: Weil er Profite braucht und an der Macht bleiben will. Weil er sieht, dass die Welt durch die gegenwärtige neoliberale Strategie vor die Wand gefahren wird und damit auch seine eigene Existenz damit in Gefahr bringt.

Und die Kehrseite dieser Medaille?
Man muss nicht Kassandra heißen, um die folgende Entwicklung klar vorauszusehen:
Der neue Kapitalismus und seine Lobby werden den erzwungenen Wohlstandsverzicht, den die zu erwartende Wirtschaftskrise nach Corona erzwingen wird, im Interesse aller durchstellen. Es wird an allen Enden an Geld fehlen. Aber das vorhandene Geld wird weiter und wahrscheinlich zunehmend ungleich und ungerecht verteilt werden. Und die Menschen werden bereit sein, zu verzichten und dankbar dafür, dass sie überhaupt noch was abkriegen von ihren eingezahlten Steuern. Der Great Reset wird alle Menschen gleich machen, nämlich zu lauter SelbstunternehmerInnen in einer angeblich klassenfreien Welt, in der es keine Arbeitnehmerrechte und keine Arbeitgeberpflichten mehr geben wird. Er wird sich als Saubermann entpuppen, der Andersdenkende mit seinen Todschlag-Argumenten unterdrückt, d.h. sie in die Schranken weist, weil diese Menschen alle anderen anscheinend bedrohen und gefährden. So ist zu befürchten, dass das eigene Denken, das Verlangen der Menschheit, selbst über das eigene Leben und über die Geschicke der Mehrheit der Menschen entscheiden zu können, dass demokratische Rechte und Vorstellungen mit dem Verweis auf die klugen und selbstlos Herrschenden verweigert und mit Fußtritten versehen werden. Der neue Kapitalismus wird Trost spenden und Zuversicht vermitteln mit den alten Mitteln des Konsums und gleichzeitig eine diffuse permanente Angst unter den Menschen aufrechterhalten. Und schließlich erleichtert er die Gewissen durch die Schaffung eines Feindbildes, das von den eigenen Schweinereien so wunderbar ablenkt.

Und das Feindbild ist gefunden. Die Rechten haben dafür doch nicht so gut getaugt. Schließlich sind sie super-system-treu. Es sind die, die da nicht mitmachen wollen, die auf ihrer menschlichen Souveränität bestehen, die den Laden durchschauen. Sie sind nicht einmal links, was ich sehr bedauere. Aber sie sind erst einmal grundsätzlich Vertreter eines Anspruchs der Menschheit auf eine unversklavte und nicht manipulierte Existenz – auch im Kopf.

Ich mag in der Welt, die da auf uns wahrscheinlich zukommt, nicht mehr leben. Muss ich ja auch nicht mehr.
Aber ich mache mir große Sorgen um die Zukunft. Wegen meiner Kinder und meiner Enkelin.
Und wegen all denen, die nicht demnächst aus diesem Irrenhaus verschwinden dürfen.

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Beobachtungen einer Wessi in Ossiland

Von 1993 -1996

Interessiert so etwas überhaupt nach Corona noch? Immerhin war die „Wende“ ein bedeutendes historisches Ereignis vor nicht allzu langer Zeit. Seit Corona hat man ständig das Gefühl, alles, was vor Januar 2020 war, sei schon Ewigkeiten her und nicht mehr relevant.

Ich habe dennoch das Wagnis unternommen, meine authentischen Beobachtungen und Erlebnisse aus dieser Zeit in eine literarische Tagebuchfassung zu transportieren und werde sie der Öffentlichkeit vorstellen.

Diese sehr persönlichen, autobiographischen Tagebuchaufzeichnungen habe ich gemacht, als ich aus beruflichen Gründen 1993 in den Osten nach Jena in Thüringen übersiedelte und versuchte, dort heimisch zu werden. Sicherlich sind meine Erfahrungen vermutlich nicht typisch für eine Wessi, die damals in den Osten ging. Sie sind auch nicht euphorisch. Es sind meine spezifischen Sichtweisen und Erlebnisse in dieser Zeit und an diesem Ort. Dennoch meine ich, dass es lohnt, sie zu bewahren und allen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, mitzuteilen.

Trotz Corona und auch nach 30 Jahren ist das Thema „Wiedervereinigung“ noch nicht erledigt. Da gibt es noch viel zu begreifen und zu tun, denke ich.

Inzwischen lebe ich noch immer im Osten, allerdings mehr im Nordteil, bei Berlin. Diese Ortsveränderung von Jena nach Oranienburg war eine der Folgerungen aus den Erfahrungen jener Zeit.

Das Tagebuch wird voraussichtlich bei epubli veröffentlicht und wird dort käuflich zu erwerben sein.
Für die LeserInnen meines Blogs werde ich sie als wöchentliche Fortsetzungsgeschichte posten.

HIER GEHT ES LOS:

Kapitel 1

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Schöne, neue, fremde Welt II

„Nein, die heutige Welt ist nicht für mich gemacht, ,und ich bin nicht mehr für sie geeignet.
Heißt es nicht, gerade in der letzten Zeit, die Alten würden von unserer Gesellschaft besonders geschützt? Rücksicht wird jedenfalls auf sie keine genommen. Vielleicht war das ja schon immer so. Aber wenn man es dann selbst erlebt, ist es schon ziemlich entwürdigend.“

Mit diesen Worten endete der erste Teil meiner Gedanken zu unserer „schönen, neuen, für mich fremden Welt“.
Aber da ist noch viel mehr als die Erfahrung des Alters. Und das will ich hier nicht verschweigen:
Ein wichtiger Bereich meiner Entfremdungserfahrungen ist die aktuelle politische, gesellschaftliche Entwicklung:

Seit ich nicht mehr ständig mit Studierenden zu tun habe und nicht mehr mit jungen Leuten zusammen Politik mache, entgleitet mir die Welt auch auf der politischen Ebene zusehends.
Doch auch schon in meinen kämpferischen Zeiten vor knapp 10 Jahren gab es die unangenehme Erfahrung, dass mein politisches Wissen und meine politische Vergangenheit veraltet, das heißt, nicht mehr aktuell waren in den Augen der anderen. Ich wurde immer öfter damit konfrontiert, dass man mich für einen „Dinosaurier“ hielt und meinte, ich würde mir zum Beispiel die positive Sicht der Jugendhilfe-Vergangenheit einfach zusammenträumen, so wie es eben alte Menschen tun.
Aber:
So vieles, was früher an Rechten erkämpft und endlich selbstverständlich war, galt nicht mehr. Ja, die Jüngeren konnten sich daran nicht erinnern, leugneten einfach die Fakten und belächelten sie als Traum-Tänzerei. Meine eigene Tochter hielt es zum Beispiel für anmaßend, als Arbeitslose zu fordern, nur solche Job-Angebote zu erhalten, die im erlernten Berufsfeld liegen. Wieso sollte man darauf einen Anspruch haben, fand sie.
Diese Ignoranz und Unkenntnis bezogen sich vor allem auf politische Realitäten der jüngeren Vergangenheit: Niemand konnte und kann noch etwas mit der Arbeiterbewegung anfangen. Als ich in einer AKS-Gruppe von dem Film „Kuhle Wampe“ sprach, lachten alle. Sie hatten noch nie etwas davon gehört. Die Errungenschaften der Arbeiterschaft, die betriebliche Mitbestimmung, der Kündigungsschutz, die Arbeitnehmerrechte… alles seit Beginn des Neoliberalismus zurückgespult – werden von den Heutigen für Märchen gehalten und inzwischen sogar für maßlose und unberechtigte Forderungen.

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Kriegsende 8. MAI 1945

Es ist 76 Jahre her, und für viele unserer Mitmenschen ist das ein Ereignis, das unendlich lange her ist, und mit dem sie nichts mehr zu tun haben.

Ich habe den Krieg nicht erlebt, nur die Nachkriegszeit ab 1948. Aber dennoch ist für mich – und ich denke auch für viele Leute aus meiner Generation – der 2. Weltkrieg noch nicht sehr lange her. 2015 habe ich begonnen, ein Bilder- und Tagebuch zum Thema meiner Kriegserfahrungen zu gestalten. Seit 2015 ist zu dieser Thematik noch einiges passiert. Aber schon damals zeichnete sich ab, dass es inzwischen wieder viele Interessen gibt, uns an einen Krieg, an die Tatsache, dass auch deutsche Soldaten und nun mehr auch Soldatinnen in fremden Ländern gegen fremde Menschen kämpfen, zu gewöhnen. Der 3. Weltkrieg ist seit langem möglich und es gibt immer wieder politische Lagen, die ihn provozieren. Aber noch ist es gut gegangen. Ansonsten ist die Welt allerdings nicht im geringsten friedlich. Es gibt unzählige Kriege und an etlichen davon sind Deutsche direkt oder indirekt beteiligt.
Als meine Tochter sich vor kurzem bei einer Hamburger Reederei als Schiffbauingenieurin bewarb, fragte man sie, ob es ihr etwas ausmache, wenn die Firma Kriegsschiffe baue. Mir wurde auf der Stelle speiübel, als sie das erzählte. Erfreulicherweise wurde sie nicht genommen.

Hier zu meinem 2015 zusammengestellten Kriegs- und Friedens-Bilder- und Tagebuch

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Jugendhilfe und Corona

Schicksalsschlag, Kollateralschäden oder Strategie?

Auszüge aus meinem Beitrag zum im März erscheinenden Reader:

Ich stelle hiermeinen Text in einigen Auszügen vor. Dabei konzentriere ich mich auf die dort behandelte Frage, welche Schlüsse wir aus der Lage der Jugendhilfe in der Coroan-Krisen-Zeit ziehen können und sollten.

In den ersten Wochen des Lockdowns lasen sich Stellungnahmen aus Jugendhilfekreisen wie Appelle an das eigene Durchhaltevermögen und wie reine Aufzählungen der neuen Herausforderungen, die es nun zu bewältigen gab. Die Bedingungen der Krise wurden meistens wie eine Naturkatastrophe hingenommen. Wenn in dieser Zeit Jugendhilfe-VertreterInnen dennoch vorsichtig Kritik an Versäumnissen des Staates oder auch an der Jugendhilfe selbst andeuteten, beteuerten sie immer erst einmal, dass die Jugendhilfe das Beste aus der Lage gemacht hätte und zeigten Begeisterung über das eigene Engagement und die eigene Kreativität (s. z.B. auch Böllert 2020).
Kritische Aussagen wurden außerdem immer wieder durch den Hinweis entschärft, dass die Krise auch Positives gebracht habe. Hervorgehoben wurden vor allem die verstärkte Digitalisierung und die Nutzung von Medien in der Sozialen Arbeit. Böllert hält Kontakte persönlicher Art zwar für nötig, äußert sich dennoch zuversichtlich, dass digitale Kontakte zur Not auch hinreichen. Diese schätzt sie hoch und hofft, dass nach der Krise solche Erfahrungen und Entwicklungen nicht verloren gehen (Böllert 2020).

Je länger die Situation andauerte, desto mehr befassten sich Stellungnahmen, Zwischenrufe und Berichte von Jugendhilfe-Organisationen oder -Einrichtungen jedoch damit, dass im Zuge der Digitalisierung und Medialisierung der Klienten-Kontakte eine Beschränkung sozialarbeiterischer Leistungen drohe, und zwar nicht nur für die ambulanten und beratenden Dienste, sondern auch für die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe (u. a. Dörr 2020; Gilde Soziale Arbeit e.V. 2020; Wegener 2020).
Der Digitalisierungsschub in der Sozialen Arbeit wird also unterschiedlich bewertet.

Was die Aufrechterhaltung der Kernaufgaben der Jugendhilfe betrifft, betonte die AGJ-Vorsitzende Böllert, dass der Kinderschutz, die Kindertagesstätten und die stationäre Erziehungshilfe während des Lockdowns mehr oder weniger unverändert weitergeführt worden seien. Auch die ambulante Hilfe zur Erziehung wäre fortgesetzt worden, allerdings nur mit digitalen Mitteln (Böllert 2020).
Im Juni 2020 gab das Deutsche Jugendinstitut die Ergebnisse einer bundesweiten Online-Befragung bei allen Jugendämtern bekannt (DJI 2020). Diese bezog sich auf den Zeitraum zwischen dem 23. April und dem 12. Mai 2020. Die Befragung befasste sich im Wesentlichen mit der Frage, ob die Jugendämter in der schwierigen Phase der Corona-Maßnahmen versucht haben, ihre Kernaufgaben zu erfüllen. Das Institut kam dabei zu folgendem Schluss: Obwohl alle befragten Jugendämter offenbar ihre Aufgaben im Kontext des Kinderschutzes wahrgenommen haben (DJI 2020, S. 67), wird eingeräumt, dass, wenn „Kinderschutzfälle bearbeitet, Hilfen geplant und begonnen werden“, es nicht zwingend heißt, „dass dies in bisherigem oder „bedarfsgerechtem“ Umfang passiert (ebenda, S. 68). Es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass die Reaktionsweisen der Jugendämter auf diese Herausforderungen unter den gegebenen Rahmenbedingungen – das heißt schwer zu prognostizierende Bedarfe, verminderte personelle Ressourcen im Hilfesystem und zeitaufwändigere Arbeitsabläufe durch Abstandsregeln und weitere Vorgaben des Gesundheitsschutzes – zu noch nicht abzuschätzenden Effekten und ggf. Engpässen in der Versorgung der Bürgerinnen und Bürger führen können“ (ebenda S.71). Und schließlich stellt auch das DJI fest: „Die dominierende Bewältigungsstrategie der Corona-Pandemie, die Einschränkung von sozialen Kontakten bzw. das Abstandhalten (social distancing) trifft die Kinder- und Jugendhilfe deshalb in ihrem Kern“ (vgl. DJI 2020, S. 69).

Von Fachverbänden und politischen Organisationen der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit insgesamt wurde gegen Ende der Lockdown-Zeit immer häufiger auf die durch die Corona-Maßnahmen nachlassende Fachlichkeit hingewiesen. Man forderte die Sicherstellung ihrer Gewährleistung ein (AGJ 2020; DBSH 2020; DBJR 2020; IGfH 2020; Kinderhilfswerk 2020). So stellt z.B. Klundt (2020) fest, dass die Fokussierung auf den Kinderschutz unter Ausblenden der präventiven Arbeit vielerorts Realität geworden sei (u.a auch Fuchslocher 2020).
In Berichten von KlientInnen und MitarbeiterInnen freier Träger wird immer wieder beklagt, dass das Jugendamt nicht erreichbar sei, dass Beratungsstellen nur noch Videoberatungen durchführten, dass Heimgruppen geschlossen und Kinder ungeplant zurück nach Hause geschickt würden (vgl. u.a. Stiftung Corona Ausschuss 2020).

Deutlich problematisch stellt sich die Situation der Jugendhilfe auch im Rahmen der Forschungsergebnisse von BuschleMeyer (2020) dar. Sie befragten nicht einfach pauschal Jugendämter, sondern richteten sich gezielt an „ausgewählte MultiplikatorInnen“ unter den Beschäftigten des Arbeitsfeldes“ (ebenda, o. S.).

Sie kommen unter anderem zu folgenden von ihnen als problematisch eingeschätzten Ergebnissen:

  • Eine „Aufrechterhaltung des Kontakts zu den Adressat*innen ist durch die nun ausschließliche Nutzung von Medien wie Telefon- und Videokontakte oder Onlineangebote kaum möglich gewesen.
  • In der Corona-Zeit wurden sozialpädagogische Fachkräfte immer wieder zu fachfremden Aufgaben herangezogen (z.B. Versetzung zur Stadtpolizei, um hier auf Corona-Streife zu gehen.

Die Autoren stellen auf Grund ihrer Ergebnisse fest, dass sich eine zunehmende Tendenz zur Deprofessionalisierung abzeichne (s. u.a. auch Klundt 2020; verdi 2020).

Noch schärfer urteilt Fuchslocher: „Im Moment wird vor allem kommunal unter dem Primat des Infektionsschutzgesetzes via Ermächtigung vielerorts massiv in die Kinder- und Jugendhilfelandschaft eingegriffen. […] Das Kinder- und Jugendhilfegesetz und die das System Kinder- und Jugendhilfe tragende Infrastruktur werden somit grundlegend in Frage gestellt“ (Fuchslocher 2020, S. 9).

Umgang der Regierung mit der Jugendhilfe in der Coronakrise

Die Jugendhilfe, also die Instanz, die von Krisen betroffene Kinder, Jugendliche und Familien in ihrem Alltag professionell begleitet und berät, wurde in der Corona-Zeit in ihren Handlungsmöglichkeiten massiv eingeschränkt, selbst nicht geschützt und weitgehend nicht – und wenn doch, nur zögerlich – als systemrelevant betrachtet und entsprechend unterstützt. In all den blumigen Reden der PolitikerInnen dieser Zeit kamen zum Beispiel die Begriffe ‚Jugendhilfe‘ und ‚Soziale Arbeit‘ nicht ein einziges Mal vor. Die Regierung und die öffentliche Meinung haben die Soziale Arbeit und insbesondere die Jugendhilfe in der Krise genauso marginalisiert wie deren Klientel.

In der Untersuchung von Buschle & Meyer (2020) gaben nur 55% der Befragten an, dass ihre Tätigkeit als systemrelevant eingestuft wurde. Offiziell wurden, was die Jugendhilfe betrifft, nur die Kindertagesstätten und die stationären Jugendhilfeeinrichtungen als systemrelevant anerkannt (BMAS 2020). Böllert (2020) stellt fest, dass die Bildungs- und Freizeitangebote der Jugendhilfe dagegen nicht als systemrelevant eingeschätzt und folglich auch nicht weitergeführt wurden.

Die Tatsache, dass Soziale Arbeit bzw. hier die Jugendhilfe nicht bzw. nur in wenigen Teilen als „systemrelevant“ eingestuft wurde, war von Beginn der Krise an für berufspolitische Verbände der Sozialen Arbeit, die Gewerkschaft ver.di, verschiedenen Hochschulen und z.B. für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Anlass zu heftigen Protesten. Gefordert wurde, Soziale Arbeit und damit die Jugendhilfe in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Systemrelevanz anzuerkennen. Sie sei generell für die Gesellschaft unverzichtbar und würde gerade in der Krise dringend gebraucht. Ihre Beschäftigten hätten also die gleiche ideelle und materielle Anerkennung verdient wie z.B. die Pflege-MitarbeiterInnen. Auch dieser gesellschaftliche Bereich müsse deswegen finanziell so ausgestattet werden, dass die hier anstehenden Aufgaben trotz der Krise erfüllt werden können (DBSH 2020; verdi 2020; Paritätischer Wohlfahrtsverband 2020; Jugendhilfeportal 2020).

Auch das Deutsche Jugendinstitut kritisiert in diesem Zusammenhang das Verhalten der Regierung gegenüber der Sozialen Arbeit: „Die flächendeckende Anerkennung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe als „systemrelevante“ Berufsgruppe und damit auch der Zugang zu Angeboten der Notbetreuung für die Kinder von Fachkräften wäre eine Maßnahme, die die Funktionsfähigkeit des Systems der Kinder- und Jugendhilfe stärken würde. Zudem wäre dies auch eine längst überfällige Geste der Anerkennung für Mitarbeitende der Kinder- und Jugendhilfe“ (DJI 2020, S. 72).

Welch niedrigen Status die SozialarbeiterInnen sich allerdings selbst zuschreiben, zeigt sich in der Untersuchung von Buschle und Meyer bei der Beantwortung der Frage nach der selbst erlebten beruflichen Anerkennung (Buschle/Meyer 2020).

Fortsetzung und Verstärkung der „alten“ Probleme

Manchem Kollegen schien es so, als seien die meisten Probleme erst durch die Krise entstanden.
Etliche KritikerInnen weisen jedoch auf die Tatsache hin, dass schon vor Corona die Soziale Arbeit in einer Krise steckte. So formuliert z.B. verdi (2020, o. S.): „In der Sozialen Arbeit und der Behindertenhilfe wurde auch schon vor der Corona-Pandemie unter prekären Bedingungen gearbeitet: Fachkräftemangel, oft schlechte Bezahlung und schwierige, äußerst belastende Arbeitsbedingungen prägen den Arbeitsalltag.“
Bei vielen Autoren hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Corona nicht nur neue Probleme mit sich gebracht, sondern die schon lange vorhandenen Problem- und Schief-Lagen dramatisch verschärft hat. Dies gilt insbesondere für die Lage der sozial benachteiligten Bevölkerung, aber auch insgesamt für den Umgang mit der Klientel generell.

Aber auch der vernachlässigende Umgang der Politik mit der sozialarbeiterischen Profession, wie sie in der Corona-Krise deutlich wurde, ist nicht neu. Immer wieder wird z.B. auf die früheren aus fachlicher Sicht unangemessenen Sparmaßnahmen hingewiesen (u.a. AKS Hamburg 2020; DBSH 2020; Buschle & Meyer 2020).

Meyer (2020, o. S.) stellt fest: „Die Corona-Pandemie und ihre Folgen wirken auf die Soziale Arbeit wie ein Brennglas. Bestehende Verwerfungen innerhalb der Sozialen Arbeit – wie schlechte Ausstattung, zu wenig Personal und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung – werden (noch) sichtbarer und verschärfen die Arbeitssituation für die Beschäftigten massiv.“

Die Fortsetzung alter und längst bestehender Problemlagen in der Soziale Arbeit werden also durchaus in der Fachliteratur diskutiert. Nur selten aber werden die Ursachen der alten und bestehenden Problemlagen beleuchtet.

Verschärfte neoliberale Strategie

Tatsächlich handelt es sich um die logische Weiterentwicklung der seit den 90er Jahren mit dem Einzug des Neoliberalismus fortschreitenden Tendenzen zur Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit. Diese Entwicklungen sind allgemein bekannt, werden allerdings längst kommentarlos hingenommen. Sie zeigten sich auch während der Krise. Dazu gehören: Vermarktlichung der Sozialen Arbeit, Effizienzorientierung, Gewinnorientierung, Deckelung der Gelder für den sozialen Bereich trotz zunehmender Aufgaben und anderes (u.a. Seithe 2012).
Wie die oben geschilderten Tendenzen zeigen, erhielt in der Coronakrise die neoliberale Transformation der Jugendhilfe neue Anstöße und verschärfte sich:

  • Das Zurückdrängen offener Beratung und aller sozialarbeiterischer Tätigkeiten jenseits vom Kinderschutz, also die Tendenz, nur noch den Kinderschutz als wesentliche Aufgabe der Jugendhilfe zu sehen, sowie die Verschiebung der Rolle der Sozialen Arbeit in Richtung Kontroll- und Ordnungskraft haben sich in der Krise „zwangsläufig“ massiv verstärkt. Im Rahmen von Verbetriebswirtschaftlichung und Effizienzdenken, besteht diese Tendenz schon seit vielen Jahren.
  • Durch die Neoliberalisierung hat die Soziale Arbeit zunehmend den Charakter eines Verwaltungs- und auch Kontroll-Instrumentes angenommen. Die Tendenz zur Um-Definition der Aufgaben Sozialer Arbeit in reines Krisenmanagement hat sich in der Krise quasi natürlich verstärkt (u.a. Seithe/Heintz 2015).
  • Die Abwertung der Beziehungsarbeit, die schon vor der Krise zu beobachten war, wurde durch die massive Erschwerung des direkten zwischenmenschlicher Kontaktes und die plötzlich notwendig gewordene Digitalisierung massiv weiter vorangetrieben und z.T. als Fortschritt gewertet (u.a. Dörr 2020)
  • Die schon jahrelang erkennbaren Bemühungen der Regierung, die ambulante Hilfe zur Erziehung einzuschränken (Seithe & Heintz 2014) und zugunsten einer „sozialraumorientierten Sozialarbeit“ – die nicht als wichtige Ergänzung zur Einzelfallhilfe gesehen wird, sondern als ihre Alternative – zurückzudrängen, sind in der Krise weiter zu ihrem Ziel gelangt. Ambulante Hilfe zur Erziehung fand nur per Video und digital statt und war explizit aus den anerkannten systemrelevanten Bereichen ausgenommen (Böllert 2020).
  • Auch die Weigerung der Kommunen, die Soll-Regelung für Bereiche der Jugendbildung, Jugendarbeit und Freizeitarbeit als verpflichtende Aufgaben anzuerkennen, setzt sich in der Krise konsequent fort, indem diese Arbeitsbereiche nicht weiter finanziert und nicht als systemrelevant eingeschätzt werden (Böllert 2020).
  • So führen die Anweisungen im Kontext des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes (SoDEG) – Einsatz zum Beispiel als Unterstützer im Gesundheitsamt – die längst praktizierte Tendenz fort, Soziale Arbeit nicht als eigenständige und fachlich orientierte Profession anzuerkennen, sondern ihre Aufgaben ohne Weiteres durch andere Professionen oder auch durch unterqualifizierte Kräfte erledigen zu lassen (Meyer 2020; Fuchslocher 2020) bzw. SozialarbeiterInnen mit fachfremden Aufgaben zu belasten.

Manche KollegInnen haben im Verlaufe der Corona-Zeit erkannt, dass die Soziale Arbeit in der Krise steckt und sich dringend wieder an ihrer eigenen Fachlichkeit und Ethik, sowie an ihren Mandaten auszurichten hätte. Dies führt viele zu dem Gedanken, dass nach der Krise eine neue, humanere Soziale Arbeit gedacht und praktiziert werden könnte (u.a. Spatscheck 2020).
Solchen Hoffnungen hält Klundt entgegen, „dass die Haushalte sowohl im Bund wie auch in Ländern und Kommunen unter enormen Einnahmeausfällen leiden und damit generell weniger Haushaltsmittel zur Verfügung stehen“ (Klundt 2020, S. 7). Da außerdem eine Übernahme der kommunalen Altschulden nicht geplant ist, erscheint diese Situation als bedenklich, denn schon in der Vergangenheit waren die Soziale Arbeit und insbesondere die Jugendhilfe Bereiche waren, in denen hohe Einsparpotenziale vermutet wurden (Klundt 2020; Meyer 2020).
Die Erfahrungen aus der Krise und der Blick auf die gegenwärtige Realität des Umgangs mit der Profession Soziale Arbeit und der Jugendhilfe lassen vielmehr vermuten, dass mit der Sozialen Arbeit ganz anderen Pläne verfolgt werden. Viel spricht dafür, dass die Regierung an einer Sozialen Arbeit, die sich ethischen Werten und den Menschenrechten verpflichtet fühlt, sowie an einer Praxis, die sich an einer wissenschaftlich begründeten Fachlichkeit orientiert, nicht sonderlich interessiert ist.

Fuchslocher weist darauf hin, dass wir derzeit die Verschärfung der „seit Jahren geforderten vollständigen ‚Flexibilisierung der Kinder- und Jugendhilfe‘ erleben. Die Hilfen nach Gesetz werden immer unverbindlicher, ihre Auslegung – in die Hände der Kommunalpolitiker gelegt – von der finanziellen Situation der jeweiligen Kommune abhängig. Damit gemeint ist eine quasi kommunale Allmacht über die Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe bei minimalsten gesetzlichen Vorgaben“ (2020, S. 9).

Die Tatsache, dass die Maßnahmen und erfolgten Beschränkungen in der Sozialen Arbeit und der Jugendhilfe während des Lockdowns allein aufgrund von Verordnungen und nicht als Ergebnis eines innerberuflichen Diskurses entwickelt wurden, zeigt ebenfalls deutlich, dass die Soziale Arbeit nicht nur vernachlässig wird, sondern dass ihre fachlichen Ansprüche und Maßgaben einfach ignoriert werden. Es muss als eine Verschärfung der bestehenden Tendenzen der Deprofessionalisierung gesehen werden, wenn sich, so Buschle und Meyer „der Wandel professioneller Handlungen nicht auf Basis von Wissen aus der Sozialen Arbeit vollzieht“ (Buschle & Meyer 2020, o. S).

Bezeichnend ist auch der gegenwärtige Umgang der Bundesregierung mit dem 2. Anlauf für eine Novellierung des SGB VIII. Der Koalitionsvertrag von 2018 versprach nach dem Scheitern des KJSG-Entwurfes eine Neuauflage inklusive einer breiten Beteiligung und griff damit rhetorisch die Kritik der Fachwelt aus der letzten Wahlperiode auf. Aber auch der neue Prozess hat unter bemerkenswerter Unterrepräsentanz der Jugendhilfe stattgefunden, um die es doch eigentlich ginge, so Fuchslocher. Die nun voraussichtlich bald verabschiedete Vorlage enthält zwar einzelne Verbesserungen (z.B. Ombudsstellen), dafür aber drohten vielfältige Verschlechterungen und unübersehbare Veränderungen. Die JugendhilfevertreterInnen fühlten sich weitgehend übergangen (Fuchslocher 2020).

Systemrelevanz oder Systemkritik?
– Frage an die VertreterInnen der Jugendhilfe und Sozialen Arbeit

Der verzweifelte Ruf vieler KollegInnen in der Corona-Krise, dass Soziale Arbeit und Jugendhilfe doch ebenso systemrelevant sein müssten wie z.B. das Gesundheitswesen und die Pflege, sollte uns nachdenklich stimmen. Die Politik macht keinerlei Anzeichen dafür, dass sie uns schätzt. Vielmehr entkernt sie unsere Profession, erlaubt sich Eingriffe in unsere Fachlichkeit, definiert die Aufgaben der Sozialen Arbeit einseitig und fachlich unangemessen und deckelt das Budget für unsere Aufgabenbereiche immer weiter.
Dass wir sehr wohl relevant sind, wenn es darum geht, Menschen in dieser Gesellschaft in Krisen und im Alltag zu unterstützen, sie zu begleiten und uns für ihre Belange einzusetzen, das ist absolut richtig.
Wieso müssen wir dann darum betteln, wahrgenommen zu werden? Wieso müssen wir den Staat darum anflehen, endlich zur Kenntnis genommen zu werden? Eine Gesellschaft und vor allem eine Regierung, die das einfach ignoriert, ist blind oder verhält sich bewusst vernachlässigend, wenn nicht sogar ablehnend gegenüber unserer Profession und ihren Leistungen, die für von Krisen betroffene Menschen unverzichtbar sind.
Für eine humanistisch und fachlich orientierte Soziale Arbeit und Jugendhilfe scheint es mir deshalb angemessen, gerade gegenüber der herrschenden neoliberalen Sozialpolitik, kritisch zu sein. Statt um Anerkennung zu betteln, wäre es sinnvoll, öffentlich Forderungen zu stellen. Statt – wie am Beginn der Pandemie geschehen – für jede doch endlich gelieferte Maske dankbar zu sein, gälte es, die Rigidität der Maßnahmen angesichts der entstehenden Kollateralschäden laut zu hinterfragen. Das heißt: Anstatt das Heil unter den Fittichen der Regierung zu suchen, wäre es angebrachter, ihr die Zähne zu zeigen.


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